Historischer Testlauf: Peñarol - Nacional

12.05.2019 - Superclásico uruguayo

Erstmals fand das große Clásico Uruguays im neuen Stadion von Peñarol statt.

von Christian Piarowski

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Das Clásico zwischen Peñarol und Nacional ist das bedeutendste Derby in Uruguay und vielleicht das wichtigste Fußballspiel im Land überhaupt. Wenn Clásico ist, dann steht Uruguay still, hört man immer wieder. Es gibt im 3,5 Millionen Einwohner zählendem fußballverrückten Uruguay zwar eine ganze Vielzahl an Fußballclubs, aber keiner kann auch nur annähernd eine ähnlich große Anhängerschaft vorweisen wie die beiden Erzrivalen, weder in Montevideo noch im Landesinneren.

Fast könnte man sagen, Uruguay teile sich auf in Nacional und Peñarol, doch damit würden man den treuen, wenn auch kleinen Fangemeinden der anderen Vereine unrecht tun. Darüber hinaus gilt dieses Clásico als weltweit ältestes Derby außerhalb Englands. Es steckte also bereits viel Historie in diesem Duell, doch im Mai 2019 wurde ein neues Kapitel geschrieben.

 

Nach fast 90 Jahren sollte das Clásico erstmals wieder in einem der vereinseigenen Stadien ausgetragen werden. Denn seit jenem 13. Oktober 1929, als Nacional im eigenen Parque Central die Carboneros mit 1:0 bezwang, wurden, neben einigen Begegnungen im Inneren des Landes sowie auf internationalem Boden, alle Superclásicos im riesigen Estadio Centenario ausgetragen.

 

Das hatte auch lange Zeit seinen guten Grund. Denn der alte Ground Peñarols, das Estadio José Pedro Damiani, entsprach schon eine ganze Weile nicht mehr den notwendigen Standards an Komfort, Sicherheit und Kapazität. Gleiches könnte man, vor allem bezüglich Letzterem, auch über das Stadion Nacionals sagen, doch haben die Bolsos ihre Heimspielstätte in den letzten Jahren Stück für Stück vergrößert und modernisiert.

 

Dies wiederum konnte natürlich Peñarol nicht tatenlos mitansehen und baute auf grüner Wiese komplett neu. Vor zwei Jahren war das Estadio Campeón del Siglo fertiggestellt worden, aber bislang waren alle Verhandlungen über eine dortige Austragung des Clásicos gescheitert. Jetzt war es jedoch soweit. Natürlich ging das im Vorfeld nicht gänzlich ohne Hin und Her. Ein Schiristreik hatte zudem für die Verlegung des ursprünglichen Termins gesorgt, aber das Hauptthema war, wie das nun mal in der heutigen Zeit leider üblich scheint, die liebe Sicherheit.

 

Mit Gästefans? Ohne? Nein. Ja. Wie viele? Wie die An- und Abreise ins eine Busstunde vom Zentrum entfernte Stadion organisieren? Usw., usw.

 

Am Ende bekam Nacional 2000 Tickets zugegeilt, ausschließlich für Mitglieder. Doch damit nicht genug. Freie Anreise war für die Gäste nicht drin. Wer von ihnen ins Stadion kommen wollte musste um 11 Uhr morgens zur Sammelstelle am alten Flughafengelände begeben. Dort wurde dann erst mal entsprechend gefilzt, samt Ausweis- und Alkoholkontrolle. Dann hieß es Schlange stehen an einem der bereitstehenden Busse. Diese fuhren schließlich immer in 12er Kolonnen begleitet von einem Polizeiaufgebot, das einen gewissen Herrn Trump vor Neid hätte platzen lassen.

 

Auch für die Peñarol-Fans lief dieses Heimspiel nicht wie gewohnt. Normalerweise erreicht man von der City aus das Stadion über zwei Landstraßen. Doch eine davon war diesmal ausschließlich für die Anfahrt der Gäste freigeben. Also alle über einzige verfügbare Straße. Eine frühe Anreise wurde empfohlen, denn es war nicht nur mit einem rekordverdächtigen Stau zu rechnen, sondern man solle auch Zeit für die Einlasskontrollen mitbringen. Die lassen sich nicht umgehen, denn die Zugänge zu den Tribünen des neuen Stadions erfolgen über enge brückenartige Schleusen, durch die nur maximal fünf Mann nebeneinander passen – dabei sollte man lächeln, denn auf der anderen Seite warten Sicherheitskameras, die nicht nur fotografieren, sondern gleich mal die Gesichter mit Datenbanken abgleichen.

 

Der Stau muss wohl fürchterlich gewesen sein, sowohl auf der Straße als auch an den Eingängen. Wer erst auf dem letzten Drücke anreiste, bekam davon aber nicht viel mit (kleiner Tipp). Erst etwa 1 Kilometer vor dem Stadion zeugten lange Parkschlangen mitten neben der Straße von etwaigen chaotischen Erlebnissen.

 

Irgendwann waren aber alle drin und die Wartezeit wurde mit Gesängen überbrückt.

34.000 vs 2.000. Der Gewinner stand natürlich fest. Denn ob nun die Peñarol-Fans jemanden zum Niedersingen hatten oder nicht, sie sorgten ihrerseits für die bei diesem Clásico bekannte spektakuläre Kulisse. Genuss für Ohr und Auge. Nicht ohne Grund gilt dieses Spiel im Südamerikavergleich als eines der Top-Clásicos, erst recht seitdem in Argentinien die Gästefans verboten sind.

 

Die Gästefans hier versuchten ebenfalls ihren Teil am Spektakel beizutragen und schafften dies auch, soweit es ihre klare Unterzahl zuließ. Tolles Intro beider, tolle Auftaktstimmung, die später zwar eher durchwachsen, aber niemals wirklich schlecht war - so wie das Spiel.

 

Als jenes schied und friedlich Unentschieden geendet hatte, begann für alle, die zurück in Richtung Zentrum mussten, der leidige Rückweg. Es dauerte eine Weile, bis auch der letzte Nacional-Fan in die hinterste Ecke des Landes gebracht worden war. Dann gab es Rückstau an den Sicherheitsschleusen, die eben fest verbaut sind. Den Rest kann man sich denken. Erfreulicherweise standen zahlreiche Linienbusse bereit. Und alle sollen früher oder später auch heil und sicher wieder heimgekommen sein.

 

Für die Peñarol-Fans mag es von großer Bedeutung sein, die Spiele im eigenen Stadion auszutragen. Das hilft sicher, dass dieser bislang eher schmucklose, noch immer nach Baustelle riechender und farbloser Neubau mal ein Zuhause wird. Als neutraler Beobachter wünscht man sich sehnlich die Zeit der Clásicos mit beiderseits rappelvollen Tribünen im Centenario zurück.

 

In der Rückrunde ist Nacional dran, zu zeigen, dass auch dort, in ihrem Parque Central, ein Clásico erlebbar ist. Auch dort werden gerechterweise, wie es hieß, eben nur 2.000 Mitglieder von Peñarol zugelassen werden. Bleibt zu hoffen, dass nach diesen ersten "Testläufen" der Sicherheitshysterie nachlässt und das uruguayische Clásico zu seinen noch gar nicht so lange zurückliegenden Glanzzeiten zurückkehrt.

 

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Peñarol 1:1 Nacional, Estadio Campeón del Siglo, Montevideo, Sonntag, 12.05.2019, 15:00 Uhr, 12. Spltg. Apertura 2019, Primera División - Superclásico del fútbol uruguayo, zum 1. Mal im neuen Stadion von Peñarol

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