Vom häßlichen Entlein

10.10.2009 - Perus Nationalelf in der Krise

Viel wird spekuliert über ein Aus der Argentinier, dabei gibt deren nächster Gegner wenig Anlass zur Sorge. Peru steht trotz namhafter Bundesligaprofis am Tabellenende.

von Christian Piarowski

  • Text
  • Ähnliches

Perus Nationalelf in der Krise

Bei einem Blick auf die Torschützenliste der Bundesliga finden sich mit Paolo Guerrero, Jefferson Farfan und Claudio Pizarro gleich drei peruanische Stürmer unter den Top-Ten. Doch die Nationalmannschaft Perus fristet in der WM-Qualifikation mit gerade einmal neun Toren in 16 Spielen, der magersten Torausbeute aller Mannschaften in Südamerika, ein trauriges Dasein am Tabellenende.

In Südamerika grüßt man von dort nicht mit einer Roten Laterne, sondern gilt als »patito feo«, als hässliches Entlein. Diese Bezeichnung beschreibt treffend den Zustand der peruanischen Nationalelf. Unbeholfen watschelten die Peruaner bisher durch die Qualifikation, von Peinlichkeit zu Peinlichkeit.

 

Die Mannschaft: Skandale statt Punkte

Bereits von Beginn an soll die Stimmung in der Mannschaft schlecht gewesen sein, berichtete der ehemalige Newcastle-Profi Nolberto Solano Anfang 2008. Das klingt erstaunlich, zeigten sich die Peruaner doch gerade zum Anfang der Qualifikation äußerst partyfreudig, mittendrin auch die drei genannten Bundesligastars.

So hielt etwa Paolo Guerrero beim 1:1 Unentschieden gegen Brasilien im November 2007 nur eine Halbzeit durch, wurde mit Magenproblemen ausgewechselt. Die Sendung "MagalyTV" sah den Grund dafür in einem ausgedehnten Diskobesuch des HSV-Stürmers zwei Tage vor der Partie. Guerrero bestreitet die Vorwürfe bis heute, erreichte sogar eine einstweilige Verfügung gegen die Journalistin Magaly Medina. Doch Zweifel blieben und schafften Distanz zwischen Guerrero und einigen Mitspielern.

Nach dem Spiel gegen die Brasilianer packte Santiago Acasiete, Jefferson Farfan, Andres Mendoza und Claudio Pizarro die Feierlaune. Sie sollen sich im Mannschaftshotel bis in den Morgenstunden mit einigen weiblichen Gästen vergnügt haben. Drei Tage nach der Party war Peru in Quito chancenlos und verlor mit 1:5 gegen Ecuador. Aufgrund dieser Vorfälle wurden die vier Spieler später vom Verband für 18 Monate gesperrt. Pizarro fühlte sich zu unrecht verurteilt und klagte vor den Internationalen Sportgerichtshof, wo er Recht erhielt.

Der Ausfall der vier Leistungsträger sorgte nicht nur für ein sportliches Vakuum, sondern zerstörte auch die Hierarchien im Team. Der bei Florenz beschäftigte Juan Vargas versuchte, die Rolle des Leitwolfs zu übernehmen, was ihm nur selten gelang. Die zum Großteil aus in Peru aktiven Spielern zusammengesetzte Nationalelf zeigte sich ohne einen Leader häufig schlicht überfordert.

Paolo Guerrero, ein weiterer potentieller Leader, wirkte zunehmend unmotivierter. Gegen Uruguay provozierte er mit anhaltenden Schiedsrichterbeleidigungen beim Stande von 0:2 einen Platzverweis. Nur zur zehnt ging Peru mit 0:6 unter, der HSV-Stürmer wurde für sechs Spiele gesperrt.

Obwohl die Mannschaft im Verlauf der WM-Qualifikation spielerisch nur wenige gute Momente hatte, drohte sie gerne dem Verband, nicht zu Spielen anzutreten, wenn dieser nicht die versprochenen Prämien zahlte. So etwa vor dem Spiel in Ecuador oder erst diese Woche vor der Reise nach Argentinien.

 

Der Trainer: Konzeptlos und ohne Autorität

„Wir fahren zur WM, versprochen“, sagte Jose del Solar bei seinem Amtsantritt. Doch bereits beim Auftakt daheim in Lima zeigte sich seine Elf plan- und konzeptlos, bis heute weiß niemand, wie das 0:0 gegen Paraguay zustande kam.

Nach der Partie gab Del Solar den Bitten der Spieler nach und gestattete ihnen einen freien Tag, obwohl bereits drei Tage später das nächste Spiel in Chile bevor stand. Ein frühes Signal für die Spieler, dass sie unter diesem Coach deutlich mehr Freiheiten haben werden als unter dem Vorgänger Uribe. Das Resultat ist bekannt.

Auch nach 16 Qualifikationsspielen lässt sich die Handschrift Del Solars nicht erkennen, zu häufig wurde das Team umgestellt, das Konzept geändert. Del Solar besaß zu keinem Zeitpunkt die notwendige Autorität, um aus den Spielern eine verschworenen Trupp zu bilden. Mit seinen inkonsequenten Taktikspielchen und öffentlichen Spielerkritiken verunsicherte er das Team, das meist völlig plan- und harmlos agierte und zurecht am Tabellenende liegt.

 

Zudem wurde bereits nach wenigen Spielen ein tiefer Graben zwischen Trainer und Mannschaft deutlich. Bei der schmachvollen 0:6 Niederlage in Uruguay fingen TV-Kameras ein, wie Del Solar seine Spieler während des Spiels mehrfach schwer beleidigte.

Doch von Selbstkritik keine Spurt. Stattdessen beklagte er, dass mit den vorhandenen Spielern einfach nicht mehr möglich sei. Einen Versuch sich mit Pizarro und Farfan zu versöhnen und sie ins Team zurück zu holen, machte er nie.

 

Kommission Südafrika: Das organisierte Chaos

Es ist bereits zur Tradition geworden: Immer wenn eine WM-Qualifikation ansteht, wird in Peru eine Kommission gegründet, die die Nationalmannschaft nach 1982 wieder zu einer Weltmeisterschaft führen soll. So gab es die »Comisión Alemania 2006« und nun die »Comisión Sudafrica 2010«. Aufgabe dieser Kommisionen war die Trainersuche, Vermittlung zwsichen Spielern und Verband sowie Reiseorganisation. Erfolg hatten sie bisher nicht einmal ansatzweise, da sie meist an internen Streitigkeiten zerbrachen.

Die »Comisión Sudafrica 2010« wurde besetzt mit Personen, die hierfür weniger durch Fußballsachverstand qualifizierten waren als durch persönliche Nähe zum Präsidenten des peruanischen Fußballverbands (FPF), Manuel Burga. Den Kommissionsvorsitz erhielt Juvenal Silva, Präsident des Klubs Cienciano Cusco. Dass Silva dieses Amt gar nicht ausüben durfte, da er zugleich auch Parlamentsmitglied war, interessierte niemanden.

Bei der Wahl des Trainers setzte der Kommissonschef seinen persönlichen Liebling José Guillermo del Solar durch. Als später selbst für Außenstehende unübersehbar wurde, dass die Kluft zwischen Del Solar und der Mannschaft unüberbrückbar war, rührte die Kommission keinen Finger. Der Trainer konnte agieren wie er wollte.

Auch bei der Organisation der Mannschaftsreisen glänzte die ominöse Kommission mit Inkompetenz. Der Höhepunkt des organisatorischen Chaos ereignete sich Medellin, Kolumbien, als der Stürmer Rengifo einfach im Hotel vergessen wurde.

Im Verlauf der Qualifikation fiel die »Comisión Sudafrica« regelrecht auseinander. Als Juvenal Silva seinen Rücktritt bekannt gab, stand sie kurzzeitig vor der vollständigen Auflösung.

Der Verband: Grabenkriege und Fifa-Suspendierung

Bereits die Wiederwahl des Verbandspräsidenten Manuel Burga 2007 war umstritten, an der Macht hielt er sich mit Hilfe der Stimmen ihm höriger und abhängiger Vereinspräsidenten. Als die schlechten Ergebnisse in der Qualifikation die Volksseele in Aufruhr versetzte, begann die peruanische Regierung, Maßnahmen zur Neustrukturierung des Verbands und den Rücktritt des unbeliebten Verbandspräsidenten zu fordern.

Um Druck auf Burga auszuüben, wurde verhindert, dass sich dieser offziell im Wirtschaftsregister anmelden konnte, wodurch er keinen Zugriff auf die Konten des Verbandes hatte. Der Streit entwickelte sich in den folgenden Monaten zu einer Privatfehde zwischen Burga und Arturo Woodman, Präsident des peruanischen Institutes für Sport.

Burga suchte Beistand bei Sepp Blatter. Die FIFA stellte ein Ultimatum, auf das die peruanische Regierung jedoch nur mit zwei Schreiben reagierte, in denen es hieß, dass man sich nicht von der FIFA geißeln lassen werde. Woodman weigerte sich, jegliche Forderung der FIFA zu unterschreiben, so lange Burga im Amt bleiben würde und ließ das FIFA-Ultimatum verstreichen.

Im November 2008 suspendierte die FIFA den peruanischen Verband. Erst danach einigten sich beide Parteien Zähne knirschend auf einen Kompromiss, die Suspendierung wurde wieder aufgehoben.

Doch der Streit ging auf anderer Ebene weiter. Im Juli diesen Jahres gab die Vereinigung der Profifußballer Perus (SAFAP) bekannt, dass die Spieler nicht mehr den Nominierungen für die Nationalelf Folge leisten werden. Auch die im Ausland tätigen Spieler sagten in einem Schreiben ihre Unterstützung der Aktion zu.

Die Spieler wollten mit dieser Maßnahme organisatorische Veränderungen innerhalb des peruanischen Fußballs bewirken. Abgesehen von einer Professionalisierung der Vereinsstrukturen wurden aber keine konkreten Forderungen geäußert. Auch wurde das Vorhaben nicht als Streik tituliert, um dadurch Sanktionen seitens der Fifa zu vermeiden.

Es bleibt Spekulation inwieweit die SAFAP ein Spielball für den anhaltenden Konflikt zwischen dem Ministerium für Sport und der FPF diente. Es kam überraschend schnell zur einer Einigung, der Verband beschloss kleinere Veränderungen im Ligabetrieb zur neuen Saison, womit sich die SAFAP zufrieden gab.

Wenig Aussicht auf Besserung

Verwickelt in Machtkämpfe, konnte der Verband keinen Einfluss auf die Nationalmannschaft nehmen. Die Mitglieder der »Comisión Sudafrica 2010« freuten sich über kosten- und arbeitsfreie Reisen zu den Spielen, Del Solar durfte in Ruhe seinen Vertrag absitzen und die Spieler machen was sie wollten. Die Schuld an der Misere wurde von der einen auf die anderen Seite abgewälzt. Der Verband beschuldigte die Spieler, diese den Trainer, dieser die Spieler und Verband und so weiter.

In Peru hofft man derzeit, dass das Grauen endlich ein Ende nimmt. Wie die letzten Qualifikationsspiele über die Bühne gehen, interessiert niemanden mehr. Stattdessen wird bereits an Brasilien 2014 gedacht. Pizarro und Farfan bekundeten bereits ihr Interesse an einer Rückkehr in die Nationalelf sobald die Ära Del Solar zu Ende ist. Ob allein dadurch die peruanische Nationalelf in Zukunft mehr Erfolg hat, ist zweifelhaft. Solange die vorhandenen Strukturen und Konflikte zwischen den verschiedenen Institutionen bestehen bleiben, wird es kaum einen Aufwärtstrend geben.

Vor 40 Jahren trennten sich Peru und Argentinien in der Bombonera von Buenos Aires 2:2. Es war das einzige Mal, dass Argentinien in der Qualifikation scheiterte, während die Peruaner zur WM nach Mexico fahren durften. Heute wäre selbst gegen ein angeschlagenes Argentinien ein Unentschieden ein Erfolg.