Was lange währt: Puebla - Atlas

05.10.2002 - Vor Ort im Estadio Cuauhtémoc

Fotos und Bericht vom dramatischen Spiel Puebla FC – Atlas im Estadio Cuauhtémoc von Puebla am 05.10.2002.

von Christian Piarowski

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Das Estadio Cuauhtémoc hat einen geschlossenen Unterring und längs des Feldes erheben sich darüber hinaus jeweils zwei steile Tribünen. Es fasst 42.648 Zuschauer, wurde 1968 eingeweiht und war Spielstätte der Fußball-WM von 1970. Seinen Namen trägt das Cuauhtémoc nicht etwa als Reminiszenz an den letzten Aztekenherrscher, sondern da die Brauerei Cuauhtémoc – Moctezuma, erhebliche Fördermittel für den Bau aufbrachte. Von den oberen Plätzen hat man eine gute Sicht auf die Stadt und bei gutem Wetter auch auf die nahen Vulkane.

 

Im Jahre 2002 wurde der Puebla FC noch von VW gesponsert. Der Verein spielte zu jener Zeit nur eine marginale Rolle im mexikanischen Fußball. Zum 11. Spieltag der Apertura lag "La Franja" mit acht mickrigen Punkten auf dem letzten Platz der Gruppe, punktgleich mit dem Gegner Atlas. Dabei wiesen die Gastgeber allerdings das schlechtere Torverhältnis auf, und dass obwohl bei ihnen die mexikanische Torwartlegende Jorge Campos zwischen den Pfosten stand.

 

Der nur 1, 76m große Campos war berühmt für seine Ausflüge vor das gegnerische Tor und seine meist knallbunten Trikots. Seine große Zeit als Torwart der mexikanischen Nationalmannschaft hatte er in den Jahren 1991-1998, mit zwei aktiven WM-Teilnahmen. Bei der Weltmeisterschaft 2002 saß er dagegen nur noch auf der Bank. Zurück aus Japan und Südkorea hütete er zwischen 2002-2004 beim Puebla FC das Tor, bevor er seine Karriere als aktiver Spieler beendete. Natürlich hatte ich mich besonders darauf gefreut, Campos live sehen zu können, doch blieben spektakuläre Aktionen von ihm an diesem Tag aus.

 

Im Gästeblock fand sich eine kleine Schar von Fans ein, die in rot-schwarze Trikots gekleidet gleich nach ihrer Ankunft zu singen begann. Daraufhin machten sich auch die Fans des Puebla FC bemerkbar, wobei sich zeigte, dass es drei verschiedene Fanblocks gab, in denen gesungen wurde. Im Stadion befanden sich kurz vor dem offiziellen Spielbeginn etwa 15.000 Zuschauer. Das Spiel war durchaus bedeutend, betrachtete man die bedrohliche Position beider Vereine in der Abstiegstabelle. Es wurde dieser Partie also mit Spannung entgegengefiebert.

 

Keiner geht

Kurz vor 15:00 Uhr jedoch ertönte die Durchsage, dass sich der Anstoß verzögern würde, da die Schiedsrichter im Stau feststeckten. Um dem Publikum die Wartezeit erträglich zu machen, zog ein Sponsor das womöglich für die Halbzeitpause vorgesehene Programm vor. Ein paar Unglückselige, die vom Lospech getroffen worden waren, mussten sich riesige Kostüme in Form von Bierflaschen überstülpen und darin versuchen, schnellstmöglich den Weg von der Mittellinie zum Tor und zurück zu laufen. Der Sieger bekam irgendeinen Preis. Den fußballhungrigen Zuschauern war die Show zumeist nur flüchtige Blicke wert. Ich stopfte mich derweil mit sagenhaft leckeren Tortas (eine Art Sandwich) und dem Sponsorengebräu voll. Die Wartezeit zog sich in die Länge und wenn dem Publikum der Gesprächsstoff ausging und es sich zu langweilen begann, nötigte ein Pfeifkonzert den Stadionsprecher zu weiteren Durchsagen. Irgendwann wurde das Spiel dann ganz abgesagt. Nun erhoben sich auch die geduldigsten Besucher, um mit einem wilden Gepfeife ihrem Unmut Luft zu machen. Zu meiner Überraschung machte niemand ernsthafte Anstalten, das Stadion zu verlassen. Und siehe da, der Abbruch wurde zurückgenommen. Eine Dreiviertelstunde später wurde das Spiel um 17:45 Uhr, also mit über zweieinhalbstündiger Verspätung, angepfiffen. Wie erwähnt war niemand gegangen. Stattdessen hatte sich das Cuauhtémoc sogar weiter gefüllt, so dass nun knapp 20.000 Zuschauer dem Spiel beiwohnen sollten.

 

300 Gästefans

Die etwa 300 Gästefans machten ab dem Spielbeginn ganz ordentliche Stimmung; von den Fans der Franja waren nur Trommelrhythmen zu vernehmen. Die erste Halbzeit war ziemlich enttäuschend. Atlas begann die Partie sehr forsch und bestimmte das Geschehen der ersten 15 Minuten, bevor die Gastgeber das Spiel kontrollieren konnten. Puebla erarbeitete sich einige Torchancen, ohne dabei den Gästekeeper ernsthaft in Gefahr zu bringen. Ohne Tore kehrten die Teams in die Katakomben zurück, begleitet von zahlreichen Buh-Rufen, in denen sicher noch der Unmut über die lange Wartezeit mitklang.

 

Die zweite Hälfte begann wie der erste geendet hatte und riss einen nicht vom Platz. Ein wenig überraschend fiel in der 58. Minute nach einer Ecke der Führungstreffer für die Gäste. Erst jetzt zeigte sich, dass auf der Gegentribüne zahlreiche Fans von Atlas saßen, die nun ihre Arme zum Torjubel in die Höhe rissen. Auch wenn von meiner Position vom Puebla-Fanblock auch weiterhin nur die Trommeln zu hören waren, sah man dort trotz des Rückstandes die Anhänger springen, was sicher auch von Gesängen begleitet wurde. In der 67. Minute bekam Puebla ein Elfmeter zugesprochen, der, umrahmt vom Sonnenuntergang, sicher verwandelt wurde. Es folgte eine emotionale Schlussviertelstunde im Flutlicht.

 

Tolles Finish

Beide Teams erspielten sich nun gute Strafraumszenen. Jedem im Stadion war klar: wer den nächsten Treffer erzielte, der würde als Sieger vom Platz gehen. Atemzüge wurden angehalten, Haare gerauft; kaum einen hielt es die letzten fünf Minuten auf seinem Sitz. Nun erscholl Hier und Da auf den Rängen ein Ruf, sammelte Kraft, vereinte sich, schwoll an und trieb schließlich elf aufopferungsvoll kämpfende Männer nach vorne: Puebla!!! Puebla!!! Puebla!!!

 

Nachspielzeit. Die letzte Aktion. Und wie sollte es anders sein, den Gastgebern gelang doch tatsächlich der Siegestreffer. Der Rest war dann ein einziger Jubel, Umarmungen, Freudenschreie und Gesänge; im Stadion, auf den Gängen, in den umliegenden Strassen und im voll gestopften Bus in Richtung Zentrum. Ein Sieg im Abstiegskampf löst eben manchmal mehr Emotionen aus als eine gewonnene Meisterschaft.

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Puebla FC – Atlas 2:1, Estadio Cuauhtémoc, Puebla, 05.10.2002, 15:00 Uhr, 11. Spieltag Apertura 2002

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