Die nationale Aufgabe beginnt

05.06.2010 - Nach Sieg über Italien landet die Tri in Südafrika

Gestern abend kamen die Hoffnungsträger Mexikos in Südafrika an, wo sie gleich den Mannschaftsbus mit der Aufschrift "El tiempo para un nuevo campeón" bestiegen.

von Matthias Linsenmeier

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Gestern abend kamen die Hoffnungsträger Mexikos in Südafrika an, wo sie gleich den Mannschaftsbus mit der Aufschrift "El tiempo para un nuevo campeón" bestiegen. Dieses Motto beschreibt die Hoffnungen, die man in der Heimat in die "Tri" setzt recht gut. Gerade der überzeugende 2:1-Testspielsieg gegen Weltmeister Italien in Brüssel am Donnerstag näherte noch einmal die hohe Erwartungshaltung der Mittelamerikaner.

Angesichts des 200-jährigen Jubiläums der Unabhängigkeit Mexikos und der Tatsache, dass vor 100 Jahren die mexikanische Revolution - das dominierende Ereignis in der mexikanischen Geschichte - ausbrach, sieht man in der WM die Möglichkeit zur absoluten Krönung dieses Jubiläumsjahres. Bislang ist der größte Erfolg der Tri bei einer Weltmeisterschaft das zweimalige Vordringen bis ins Viertelfinale - jeweils bei den Heim-WMs 1970 und 1986. Dies soll mindestens in diesem Jahr erreicht werden, doch insgeheim träumt man vielerorts von mehr.

Die Qualifikation war durchwachsen - Dann kam Aguirre

Obwohl die Qualifikation nicht optimal für die "Tri" verlief und seit der WM 2006 mit Hugo Sánchez und Sven-Göran Eriksson zwei Trainer verschlissen wurden, ist der Optimismus inzwischen wieder groß. Der Hauptgrund hierfür ist vor allem Javier Aguirre, der nach 2002 nun seine zweite Weltmeisterschaft als Nationalcoach bestreiten wird. "El Vasco" übernahm die Mannschaft vom Welttrainer Eriksson, der nie seine zahlreichen internen Kritiker überzeugen konnte und nach den zahlreichen Auswärtsniederlagen im Qualifikationsmarathon der CONCACAF schließlich im April 2009 die Koffer packen musste.

Das 1:3 in Honduras hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Aguirre musste in El Salvador zum Antritt ebenfalls eine Niederlage in Kauf nehmen, doch diese sollte die einzige Pflichtspielpleite unter seiner Regie bleiben. In der Folge gewann die "Tri" die wichtigen Qualifikationsspiele gegen die USA (2:1) und auf imposante Weise in Costa Rica (3:0), so dass die WM-Teilnahme schließlich doch noch souverän gesichert wurde. Zwischendurch holte Mexiko noch die Copa de Oro, wo insbesondere der 5:0-Finalsieg gegen den Erzrivalen USA für große Genugtuung innerhalb des Landes sorgten.



Aguirre setzte die Tradition seiner ersten Amtszeit als Nationaltrainer fort und sorgte mit unpopulären Personalentscheidungen für Wirbel. Zuletzt verwirrte der 51-Jährige die ganze Nation mit dem Einsatz von Torwart-Veteran Óscar "Conejo" Pérez im letzten Testspiel gegen Italien, dem er überdies auch die Nummer 1 in der FIFA-Kaderliste zuteilte. Die übewiegende Mehrheit der 110 Millionen Mexikaner hatte mit Towart-Emporkömmling Guillermo Ochoa vom CF América auf dieser Position gerechnet. Allerdings ist nach wie vor nicht offiziell klargestellt, wer am nächsten Freitag im Eröffnungsspiel gegen den Gastgeber Südafrika im Kasten steht.

Außerdem wurden die ehemaligen Bundesliga-Profis Pável Pardo (Stuttgart) und Aarón Galindo (Frankfurt) unter seiner Regie nicht mehr berücksichtigt und durch jüngere Perspektivspieler ersetzt. Vor allem Vertreter der "goldenen Generation", die 2005 den U-17-Weltmeistertitel errang, drängten ins Team und sicherten sich dort ihren Platz. Giovani dos Santos, Efraín Juárez und Carlos Vela haben sich in der "Tri" festgespielt und werden sicherlich auf viele Einsatzminuten beim Weltturnier kommen. Auch der jüngste Shooting-Star des nationalen Fußballs - Javier "Chicharito" Hernández von den Chivas (und bald bei Manchester United) - hat sich einen Stammplatz in der Offensive gesichert. Angesichts von alten Hasen wie Rafael Márquez, Carlos Salcido, Gerardo Torrado und Stürmerlegende Cuauhtémoc Blanco und den genannten jungen Hüpfern, verfügt die Truppe bei diesem Turnier über eine gesunde Mischung aus jung und alt.



Mexikos Angst vor dem Erfolg

Bei den letzten Turnieren (außer der Copa de Oro) flog die Tri regelmäßig zu früh nach Hause und deutete ihr großes Potenzial dabei nur an. Gegen die großen Gegner bekam man immer wieder Nervenflattern. So unterlag La Volpes Truppe den Argentiniern vor vier Jahren durch einen Jahrhundertschuss von Maxi Rodríguez in der Verlängerung und auch ebendiese Argentinier waren bei der Copa América 2007 Endstation im Halbfinale. Auch bei der WM in Frankreich vor zwölf Jahren wusste die "Tri" in der Vorrunde ebenso zu überzeugen wie bei der WM in Asien 2002. Beide Male war hier ebenso Schluss im Achtelfinale. Diese scheinbar für Mexiko unüberwindbare Hürde soll nun endlich gerissen werden.


Das Manko der Niederlagen gegen die "Großen" haben die Verantwortlichen erkannt und einen wahren Testspielmarathon im Vorfeld der WM geplant. Zunächst ging es in den USA gegen kompakt stehende Gegner, wie Nordkorea und Island. Danach kamen Afrikaner an die Reihe, um sich auf die Duelle gegen Südafrika und möglicherweise Nigeria im Achtelfinale vorzubereiten. Richtig ernst wurde es schließlich in Europa, wo man noch gegen England, die Niederlande und Weltmeister Italien testete, bevor es schlussendlich gestern nach Südafrika ging. Die Bilanz der Europa-Tournee sah zunächst ernüchternd aus: trotz einer guten Leistung unterlag man gegen die Briten in Wembley mit 1:3. Das größte Problem war in dieser Partie wieder einmal die mangelhafte Chancenverwertung der hochgelobten Offensive. Wenige Tage später traf die "Tri" in Freiburg auf die Niederlande, die verdient mit 2:1 gewann. Nach zahlreichen Umstellungen wirkte die Defensive an diesem Tag kopflos und fing sich früh die Gegentreffer durch Robin van Persie.

Es folgte ein leichtes 5:1 über Gambia in Bayreuth, das wohl vor allem dem Selbstvertrauen dienlich sein sollte und sportlich nicht überzubewerten ist. Am vergangenen Donnerstag gewann die Truppe von "Vasco" schließlich gegen den Titelverteidiger in Brüssel mit 2:1. Eine stabile Defensvie ließ hinten nur wenige Tormöglichkeiten der italienischen Offensive zu, während sich Carlos Vela vorne treffsicher zeigte und das Mittelfeld eine technisch und taktisch sehr reife Leistung bot. Kurz vor Schluß stach dann auch Joker Alberto Medina, der in den meisten Testspielen zu gefallen wusste und sorgte mit dem 2:0 für die Entscheidung. Der späte Anschlusstreffer durch Bonucci nach einem Eckball offenbarte allerdings wieder einmal die häufiger gezeigten Defensivschwächen bei hohen Bällen.

Dieser Triumph war jedoch der perfekte Abschluss der Vorbereitungsspiele für die Mexikaner, deren Startelf gegen Südafrika ähnlich wie die gegen Italien aussehen sollte. Am nächsten Freitag um 16:00 MEZ wird sich zeigen, ob die "Tri" dem Druck gewachsen ist und die ehrgeizige Forderung auf ihrem Mannschaftsbus erfüllen kann.