Tolle Kulisse: América - Toluca

06.10.2002 - Vor Ort im Aztekenstadion

Es gibt Stadien, die sind legendär und bedürfen eigentlich keiner Beschreibung. Dazu zählt das monumentale Estadio Azteca.

von Christian Piarowski

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Es gibt Stadien, die sind legendär und bedürfen eigentlich keiner Beschreibung. Dazu zählt gewiss auch das monumentale Estadio Azteca. Es ist das einzige Stadion weltweit, in dem bereits zweimal ein WM-Finale ausgetragen wurde. Das Azteca befindet sich im Stadtbezirk Coyoacán am Südrand von Mexiko-Stadt, ist sehr gut an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden und leicht zu erreichen.

Von den obersten Rängen kann man über die Stadionbrüstung hinweg einen Blick auf Mexiko-Stadt erhaschen. Auch erhält man von dort am Besten ein Gefühl für die Größe des Stadions. Die Sicht auf das Feld ist zwar ebenfalls sehr gut, allerdings sind die Spieler etwas klein und es empfiehlt sich der Kauf eines, der von unzähligen Händlern angebotenen Ferngläser aus Plastik.

 

Es war das Gipfeltreffen des Spieltages. Beide Teams führten die Gesamttabelle an und hatten in den ersten zehn Partien offensiven Fußball geboten. América lag mit nur sechs Gegentreffern unbesiegt auf Platz 1. Toluca folgte direkt dahinter und war bis dahin erst einmal bezwungen worden. Dennoch war es kein Problem, Karten für das Spiel zu bekommen. Zwei Stunden vor Anpfiff herrschte bereits ein reger Trubel um das Stadion. Auch die Ränge waren zu diesem Zeitraum bereits gut gefüllt. Die meisten Fans trugen Trikots oder irgendein anderes Fanutensil; viele ließen sich ihre Gesichter bemalen. Die Ultras sammelten sich auf den Oberrängen in den Kurven. Ansonsten waren die Fans friedlich im gesamten Stadion vermischt, so dass sich ein gelb-roter Flickenteppich ergab. Es waren zahlreiche Anhänger der Gäste anwesend. Toluca liegt nur 65 km von Mexiko-Stadt entfernt.

 

Der Zuschauerschnitt von América hatte bis zu jener Partie um die 24.000 gelegen. Offensichtlich hatten viele Fans den Andrang zu diesem Spiel unterschätzt und waren wie gewohnt erst kurz vor Anpfiff angereist. Obschon sowohl Kartenverkauf als auch Einlass zügig vorangingen, staute sich wenige Minuten vor Spielbeginn noch eine riesige Menge an Besuchern vor den Eingängen.

 

Uglaublicher Lärm im Stadion

Bereits lange vor dem Spiel herrschte im Stadion ein unglaublicher Lärm. Die Ultras von América ließen zum Intro kiloweise Papierschlangen vom Oberrang regnen, dazu gab es viel blau-gelben Rauch. Auch wenn die Ultras den Großteil des Spieles sangen und gelegentlich pogten, ging ihr Support schlicht unter im konstant hohen Lärmpegel im Stadion. Tausende von Rufe und Flüche gerieten durcheinander, mischten sich mit dem Sound von Tröten, Fanfaren und klatschender Hände und sorgten für ein wildes Lärmspektakel sondergleichen, in dem einzelne Elemente nicht mehr zu unterscheiden waren. Leise war es zu keiner Zeit.

 

 

Das Spiel begann viel versprechend. Ein gewisser Pavel Pardo erzielte per Freistoss bereits in der 9. Minute das 1:0 für die Aguilas. Nur etwa fünf Minuten später erhielt das entfesselt aufspielende América einen Elfmeter. Cuauhtémoc Blanco nahm einen endlosen Anlauf und versemmelte kläglich die geschenkte Möglichkeit zum 2:0. Blanco war damals der Star der mexikanischen Nationalmannschaft und vor allem bekannt durch seine Überspringer, bei denen er den Ball zwischen den Füßen festklemmte. Derartige Kunststücke unterließ er an jenem Tage allerdings, sehr zu meiner Enttäuschung. Auch sein Offensivpartner Iván Zamorano, ehemaliger Stürmerstar von Real Madrid und Inter Mailand, bot eine unauffällige Darbietung.

 

Trotz des frühen Rückstandes sollten die mit weniger namhaften Spielern bestückten Gäste zunehmend besser ins Spiels kommen und sich anschicken, das Geschehen auf dem Platz zu kontrollieren. Eine disziplinierte und geschossene Mannschaftsleistung boten die Diablos Rojos (Rote Teufel) und wurden in der 27. Minute mit dem Ausgleichstreffer belohnt. Bis zur Halbzeitpause blieb es anschließend ein munteres Spiel. Allerdings agierten beide Teams nun ein wenig vorsichtiger, weshalb weitere Höhepunkte ausblieben.

 

Das Stadion hatte sich bis zum Halbzeitpfiff weiter gefüllt. Die Zuschauer saßen mittlerweile dichtgedrängt auf den Zugängen und Treppen. Der Weg zum Klo gestaltete sich ein wenig schwierig. Doch noch immer standen Fans vor dem Stadion. Daraufhin wurde auch in den Kurvenbereichen der Mittelring geöffnet. Bis zum Wiederanpfiff befanden sich dann alle der über 100.000 Zuschauer wenn zwar auch nicht auf ihren Plätzen, so aber doch wenigstens im Stadioninneren.

 

Diejenigen, die erst zur zweiten Halbzeit ins Stadion kamen, hatten den besten Teil des Spiels allerdings verpasst. Die zweiten 45 Minuten belauerten sich beide Teams, ohne das Risiko zu suchen. Vom munteren Offensivfußball der ersten halben Stunde war nur noch selten etwas zu sehen. Blanco und Zamorano waren vollkommen abgetaucht und wurden irgendwann ausgewechselt. Insgesamt machten die Gäste aufgrund einer geschickten Taktik und Mannschaftsleistung den besseren Eindruck. Wenige Minuten vor Abpfiff gelang ihnen der Führungstreffer, der letztlich die Partie entscheiden sollte. Mit dem dreifachen Punktgewinn eroberten die Rojos die Tabellenspitze. Sie holten schließlich auch kurz vor Weihnachten den Meistertitel.

 

Alles friedlich, warum auch nicht?

Weder Polizei noch sonstige Ordnungskräfte mussten anschließend die Fangruppen voneinander trennen oder deren Abmarsch organisieren. Überhaupt waren Schutzleute zahlenmäßig derartig gering vorhanden, dass ihre Anwesenheit überhaupt nicht auffiel. Während die Gästefans nach dem Spiel laut singend das Stadion verließen, wirkten die Fans von América zwar enttäuscht aber nicht missmutig. Friedlich nebeneinander machte sich ein jeder auf den Heimweg. Der Abmarsch der 100.000 Zuschauer dauerte freilich ein wenig, verlief aber wie von Geisterhand geordnet. Problemlos gelangte ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln wieder zurück ins Zentrum.

 

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America 1:2 Toluca, Estadio Azteca, Mexico D.F., 06.10.2002, 11. Spieltag Apertura 2002

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