Vierer-Support: Chile - Peru

03.07.2019 - Halbfinal-Clásico N° 2

Das Clásico del Pacífico endete überraschend; auf Feld und auf Rängen.

von Christian Piarowski

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Zwei sehr attraktive Clásico hatte diese Copa America zusammengebracht. Nach Argentinien und Brasilien standen sich im zweiten Halbfinale nämlich Peru und Chile im Clásico del Pacífico gegenüber.

 

Chile hatte in den letzten 10 Jahren international für viel Aufmerksamkeit sorgen können, nachdem man zuvor ganz unten in Südamerika stand. Peru dagegen war lange von der internationalen Bildfläche verschwunden, schaffte aber unter Coach Gareca eine Wiederbelebung, die in der im Land euphorisch gefeierten Qualifikation zur WM 2018 gipfelte - während Chile punktgleich daheim bleiben musste.

 

Das Duell zwischen beiden Landesauswahlren ist aber eher ein Clásico aufgrund der Landesgeschichte als aus fußballerischen Erwägungen. Viel, viel mehr. Dafür müsste man 500 Jahre Kolonialgeschichte resümieren. Doch einer der wichtigsten Schwerpunkte ist die territoriale Einnahme von peruanischem Staatsgebietes samt Einmarsch chilenischer Truppen in Lima Ende des 19. Jahrhunderts und den seither anhaltenden Grenzstreitigkeiten.

 

Kurz: klassische Peruaner können klassische Chilenen nicht riechen und umgekehrt. Bei den meisten Menschen, die im Grenzgebiet leben, ist das nicht ganz so ausgeprägt. Dennoch bleibt allgemein eine Antipathie zu konstatieren, die möglicherweise ausgeprägter ist als zwischen Brasilianern und Argentiniern.

(Dazu wird derlei Zeugs ja auch gerne von Menschen ausgelebt, die es sich leisten können. Oder wie sagte vor 16 Jahren ein peruanischer Straßenverkäufer in Lima zu mir: „Ist mir doch egal, ob morgen Peru oder Chile gewinnt, ich habe eine Familie zu ernähren und muss arbeiten.“)

 

Am Vortag hatte es nun jedenfalls eben jenes ewige Duell zwischen den zuletzt Genannten gegeben und es war dabei zu etlichen unschönen Szenen im Stadion gekommen. Was sollte da erst an diesem Tag passieren?

 

Zunächst blieb erst mal zu konstatieren, dass die Gremio-Arena in Porto Alegre nicht mal zur Hälfte gefüllt wurde. Keine Woche zuvor hatte Brasilien hier das Viertelfinale gegen Paraguay bestritten. Also wer nicht wirklich mega-fußballverrückt war, hatte für eine, aus brasilianischer Sicht, 3.-Liga -Partie mitten unter der Wochen kein Interesse. Erst recht nicht, wenn man noch An- und Abreisestress dazurechnete. Normal und mehr als verständlich.

 

Die Chilenen sind im Südamerikavergleich aber wohl eine der treusten Anhängerschaften ihrer Nationalmannschaft, la Roja. Doch die Nichtqualifikation zur WM 2018 hatte nach den Jahren der puren Euphorie einen kleinen Dämpfer gebracht.

Peru hatte traditionell immer eine ganz gute Zahl an Anhänger bei den letzten Copa-Ausgaben... man war ja auch nie bei der WM, also war es das Turnier. Allerdings rekrutierten sich die Anwesenden meist im Großteil aus den jeweils vor Ort leben Einwanderern. (Selbst 2007 in Venezuela war das so – heute wäre es genau umgekehrt.) Seit der erwähnten Wiederbelebung und der ersten WM-Teilnahme nach 37 Jahren herrscht im Land aber eben jene Euphorie, wie vor 10 Jahren in Chile herrschte. Dennoch war nicht die gleiche Anzahl an Fans wie bei den Vorrundenspielen zu erwarten.

Zum einen gab es keine Team-Serien zu kaufen, also war eine Teilnahme am Halbfinale in Porto Alegre reine Spekulation...hätte ja das andere Halbfinale sein können. Zum anderen kosten längere und/oder kurzfristige Aufenthalte in Brasilien schon einiges, also muss man relativ langfristig planen, und da hieß es immer...ausverkauft!...

 

Trotz aller Widrigkeiten hatten beide Teams aber eine recht ordentliche Anhängerschaft von jeweils mehren Tausend vor Ort, schön uneinheitlich verteilt auf allen Rängen. Denn grade die billigsten Plätze, die Stehplätze, waren von Brasilianern belegt und zwar überwiegend von Gremio-Fans. Dies war leicht an den neutralen Winterklamotten und oder den zahlreichen Gremio-Trikots zu erkennen (für etwas mehr als 20 Euro eine billige Spekulation), während die „echten" Fans in den Nationalelf unterwegs waren.

 

Und heute gab es deutlich zwischen echten und unechten Fans zu unterscheiden. Denn wie schon zuvor in Porto Alegre langweilte sich das auf ihre Vereine, Gremio und Internacional, getrimmte Publikum recht bald und wiederholt hallte es „Greeeemioooo“ durch die Arena. Dann aber wurde was Neues ausgelebt, was von Beginn an da war. Denn DER peruanische Star der letzten Jahre, Ex-Bayern-Spieler und Bremer Paolo Guerrero spielt bereits seit einigen Jahren recht erfolgreich bei Internacional, also jenem Team, das in der Gremi-Arena eigentlich unerwünscht ist. Wie es der Zufall wollte, sind die Vereinsfarben Inters rot und weiß, wie eben Peru.

Also war die Sache klar: alle Gremio-Fans für Chile und die heute erstaunlicherweise mehr (zumindest erkenntlich) als beim Brasilien-Spiel vorhandenen Fans von Inter für Peru. Da gab es dann Gesänge auf Portugiesisch für beide und einige Fans in den lokalen Trikots versuchten, die Fans de Protagonisten für ihre Lieder zu animieren. So ergab sich irgendwie ein Support aus vier Gruppen.

 

Denn Chilenen und Peruaner hatten natürlich vornehmlich Aug und Ohr für ihre jeweils eigenen Selecciones, welche sie unermüdlich suporteten. Die Chilenen mit dem bekannten, stadionweiten Chi-chi-chis und die Peruaner mit an argentinischen Gesängen angelehnten, aber abgewandelten Dauergesängen.

Das Bemerkenswerte dabei war, dass sich tendenziell zwar Gruppen sortierten, aber vieler Orts aktiv supportende Fans beider Lager mehr oder weniger unmittelbar nebeneinander standen. Selbst bei provokativen Gesängen und strittigen Szenen auf dem Feld wurde dabei jedoch dem Gegner auf den Rängen keine Aufmerksamkeit geschenkt, sondern sich nur aufs eigene Team konzentriert.

 

Anders als am Vortag bei Brasilien - Argentinien kam es nicht (zumindest nirgends ersichtlich) zu Handgreiflichkeiten, weder vor, während, noch nach Ende des Spiels. Man ignorierte sich gepflegt, ohne Arroganz und kümmerte sich einzig um sich selbst und sein Team, trotz aller seit Generationen gepflegter Antipathie.

 

Darüber hinaus zeigte sich auf der Veranstalter kulant. Alle Stadionbereiche waren frei zugänglich. Das wurde zwar nicht lauthals verkündet und man musste das schon selber ausprobieren. Aber im Stadioninneren waren anders als in der den Spielen zuvor alles Zugänge offen. Die bis dahin geschlossenen Plexiglasbarrieren waren beiseite geschoben worden. So konnte man beispielsweise mit Tickets gültig für Oberrang Kategorie 4, mal eben in Unterrang Kategorie 1 und vice versa. Das sorgte für Auflockerung, etwa bei Fans, die sich suchten, aber nominell weit auseinander saßen. Zudem waren nun die Unterrängen nicht mehr ganz so erschreckend leer wie in der Gruppenphase. Das war dann auch im TV besser anzusehen...

 

Ach, Fußball gab es auch noch. Peru, das einige Blackouts in diese Copa gezeigt hatte, erwies sich von Beginn an hoch konzentriert, nutzte jede Gelegenheit, war immer präsent und zog so einer zwar individuell besser besetzten, aber in die Jahre gekommen und satt wirkenden Roja den Zahn. Die Chilenen wirkten nach den kräftezehrenden Partien gegen Uruguay und Kolumbien müde, sowohl physisch als auch im Kopf und verlagerten sich von Beginn an lieber aufs Lamentieren. Als sie im zweiten Durchgang alte Tugenden wachriefen, war es bereits zu spät. In Chile wird es Zeit für einen Umbruch,. In Peru dagegen herrscht aktuell Euphorie, ob der Leistungen. Dabei ist das Team nominell nicht viel besser als die letzten 15 Jahren zuvor.

 

Da zeigt sich dann halt die Arbeit des akribischen Gareca. Bleibt zu hoffen, dass diese geduldige Arbeit ebenso langfristige Nachwirkungen hat, wie jene seines Landsmanns Bielsa für Chile.

 

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Chile 0:3 Peru, Arena do Grêmio, Porto Alegre, Brasilien, Mittwoch, 03.07.2019, 21:30, Halbfinale, CA 2019

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