Var da was?: Brasilien - Argentinien

02.07.2019 - Traumabewältigung Teil 2

Das Halbfinal-Clásico Nummer 1 sollte für viel Gesprächsstoff sorgen.

von Christian Piarowski

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Brasilien gegen Argentinien bei einem großen Turnier, was kann man sich eigentlich besseres wünschen? Klar, es hätte das Finale sein können, aber es war nun mal "nur" das Halbfinale.

 

Brasilien hatte bis dahin auch ohne Neymar im Turnier viel Gutes abgeliefert, auch wenn nicht immer der Ball ins Tor wollte. Die argentinische Auswahl dagegen konnte, mal wieder, die im eigenem Land in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllen, obwohl mit jedem Spiel eine Leistungssteigerung erkennbar war und sich das Team zu finden schien. Ganz ähnlich also wie bei der WM 2014 in Brasilien, wo man bis ins Finale vordrang. Sollte sich dies vielleicht wiederholen?

 

Die Rahmenbedingungen ließen bereits im Vorfeld weitere Vergleiche zur WM von vor 5 Jahren zu. Allem voran der Fakt, dass Gastgeber Brasilien erneut das Halbfinale im Estadio Mineirao von Belo Horizonte bestritt. Wer erinnerte sich nicht an die historische Klatsche der Selecao gegen Deutschland, das später dann mehr Probleme mit Argentinien hatte? Wenn sich dies wiederholen würde; in Brasilien wäre der "Minerazo" endgültig geboren und in den argentinischen Medien würde man eventuell ein bis zwei gute Dinge an der Seleccion finden – oder gleich von 100 Jahren Dauer-Weltmeister reden, das kann man nie so genau wissen.

 

Anders als sonst im Laufe der Copa platzte das Stadion diesmal natürlich schon lange vor Anpfiff aus allen Nähten. Wobei nicht alle Zuschauer unbedingt auf den Rängen zu finden waren, denn die Bierstände waren ebenfalls beliebt, zumal man dort das Spiel auch an Plasmas verfolgen konnte.

 

 

Beim Halbfinale zwischen Argentinien und Venezuela in Rio hatte eine entspannte Rivalität zwischen Brasilianern und Argentiniern geherrscht, mit lustigen und belustigenden Gesangsduellen. Dies war diesmal von Beginn an anders.

Das brasilianische Nationalmannschaftspublikum ist eigentlich entspannt, freundlich und eher auf Party aus. An diesem Tag jedoch war eine ungewöhnlich gesteigerte Aggressivität deutlich zu spüren. Nicht bei allen, natürlich, aber es kam selbst auf den Haupttribünen zu Übergriffen auf Argentinier, die sich nicht in den eigenen Mob begeben hatten. Letzteres war gar nicht so einfach möglich, schließlich wurden beim Ticketverkauf keine bestimmten Fanzonen ausgerufen, noch gab es Team-Tickets, noch konnte man, abgesehen von den Kategorien, spezifische Bereiche (Oberrang, Unterrang, West oder Ost etc.) aussuchen. Also saßen alle schön durcheinander, lediglich ganz unten hinter den Toren und dort, wo es irgednwie ging, rotteten sich die Gästefans zusammen.

 

Auch als jene Brasilianer, die an jenem Tag „Normalos“ waren, selbst völlig verstört, den Sicherheitsdienst herbeiriefen, um einzelne Argentinier zu schützen oder Aggressoren hinaus befördern zu lassen, mussten sie Kopf schüttelnd und mit Erstaunen ansehen, wie die Herbeigerufenen gar kein Interesse daran hatten, irgednwie schlichtend einzuwirken, sondern nach lockerem und scherzhaften Plausch den Gewalttätern sogar noch die Hände schüttelten oder abklatschten. Die einzelnen Handgreiflichkeiten und aggressiven Gebärden und Gesänge steigerten sich im Laufe des Spiels und vor allem mit jedem neuen roten Becher voller Bier.

 

In Brasilien und in Belo Horzizonte wird davon ja gerne viel konsumiert, was auch ok ist, und der Verkauf war bei der Copa auch größtenteils zugelassen. (Jeder Spielort regelte dies anders, so gab es etwa in Sao Paulo nur alkoholfreies Bier.) Doch diesmal setzten die Mineiros dem ganzen noch eine Krone drauf. Kurz nach der Halbzeitpause wurde der Bierverkauf gestoppt. Gut so, denn nachdem der rechtspopulistische Präsident des Landes die Pause für eine Show zur Selbstbeweihräucherung nutzte, stiegen die Aggressionen noch mal spürbar. Darüber hinaus war auch kaum noch Gestensaft vorhanden gewesen.

 

Kurz: es herrschte im Minerao eine für Nationalmannschaftsspiele in Brasilien ungewöhnliche Atmosphäre, so wie etwa im Vereinsfußball bei einem Lokalderby zwischen zwei verhassten Rivalen, nur dass die diesmal Fans nicht getrennt waren. Wie gesagt, nicht alle beteiligten sich an Agressione, aber es war überraschend überhaupt brasilianische Selecao-Fans auf diese Art zu erleben.

 

Natürlich könnte man auch sagen, dass es mit Sicherheit das lauteste und stimmungstechnisch intensivste Spiel dieser Copa war.

 

Auf dem Platz wurde auch viel geboten. Argentinien hatte sich noch einmal steigern können und beherrschte über weite Phasen die Partie, traf aber nie das Tor und wurde auch bei den Offensivaktion nicht so gefährlich wie die Gastgeber. Diese zeigten bei ihren Vorstößen eine beeindruckende Dynamik und Kraft gepaart mit Technik, was zu zwei schönen Toren und einem nicht unverdienten Sieg führen sollte.

 

Später reklamierten die Argentinier, dass einige strittige Situationen, vom Schiri-Team nicht per VAR kontrolliert worden waren. Im Stadion hatte man live nicht wirklich das Gefühl bekommen, die argentinische Seleccion sei klar benachteiligt worden, doch waren am TV einige entscheidende Szenen wohl durchaus strittig.

Später hieß es dann, aufgrund des Sicherheitsvorkehrungen wegen des Präsidentenbesuches wären Signalhemmer zum Einsatz gekommen und die Kommunikation zwischen Schiri und Zentrale wäre gestört gewesen. Argentinien und Messi fühlten sich betrogen. Schließlich wolle man die Argentinier immer und überall benachteiligen. Wenn dem so ist, warum gab es dann die VAR-Entscheidung gegen Paraguay, die weder Spieler noch TV-Kommentatoren wahr genommen hätten? Da hätte man sich der Albiceleste ja bereits entledigen können, statt sie am Leben zu halten.

 

 

Wie auch immer. Die vor allem seit der WM-Schmach unter den ständigen herben Spottgsängen der Argentinier leidenen (eventuell ein Grund für die in Aggressivität überbordene Aufgedrehtheit an diesem Tag) Fans de Selecao feixten sich eins, denn nun war auch das Trauma Mineirao besiegt.

 

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Brasilien 2:0 Argentinien, Estadio Mineirão, Belo Horizonte, Brasilien, Dienstag, 02.07.2019, 21:30, Halbfinale, CA 2019

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