Doppelpack: Bolivien - Uruguay & Venezuela - Peru

30.06.2007 - Copa America 2007 - Gruppe A

Fotos & Bericht von den Spielen Bolivien - Uruguay & Venezuela - Peru im Estadio Polideportivo de Pueblo Nuevo von San Cristóbal, 2. Spltg. der Gruppe A

von Christian Piarowski

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San Cristóbal liegt in den Andenausläufern des Südwesten Venezuelas, nur 40km von der Grenze zu Kolumbien entfernt. Die Stadt ist ein wichtiger Knotenpunkt für den Handel mit dem Nachbarland und weniger ein touristisches Reiseziel. Das Zentrum bietet nur wenige Sehenswürdigkeiten und wirkt, insbesondere nachts, ein wenig trostlos. Die Partyzone befindet sich ein paar Kilometer entfernt im barrio obrero (Arbeiterviertel), das, anders als der Name es erwarten lässt, eher für die betuchtere Klientel ist. San Cristóbal gilt als die Fussballhochburg des Landes und die barra des Lokalvereins Táchira als die beste Venezuelas. 

 

Auch für die beiden Spiele, die am selben Tag stattfinden sollten, hatte ich ein Ticket im Internet bestellt. Dabei konnte man nur eine Karte für beide Spiele zusammen erwerben. Erneut hieß es, Schlange stehen, um die Karten zu bekommen. Vor dem Ticketcenter am Baseballstadion gab es das erwartete Bild: zwei lange Reihen Wartender. Eine für Käufer, die mit ihrer Nummer nun Karten bekommen wollten und eine für Internetuser. Die Namen Letzterer wurden durch ein schwaches Megaphone aufgerufen. Ich konnte bei dem blechernden Klang kaum etwas verstehen und befürchtete, dass ich schlicht meinen Namen nicht herraushören würde können. Es regnete in Strömen; die Menge wartete dennoch geduldig und relativ ruhig. Doch es bewegte sich nichts. Was macht man, wenn der eigene Name bereits aufgerufen wurde?

 

Nach über einer Stunde, als Salvaje (der Peruaner) und ich schon beinahe gehen wollten, da das Ganze aussichtslos erschien, wurde das System neu organisiert. Man teilte die Menge in einzelne Gruppen nach dem Anfangsbuchstaben des Vornamens ein. Nun ging es zügiger voran. Ein Polizist rief die Namen auf und die Glücklichen, die aufgerufen wurden, zeigten ihren Ausweis und entfernten sich freudestrahlend. Doch schon bald leerte sich der Karton mit dem Buchstaben C (meiner), wobei der Großteil der Aufgerufenen gar nicht anwesend war und noch immer zahlreiche Käufer auf ein Erfolgserlebnis hofften. Diejenigen, die heute kein Glück hätten, sollten es am nächsten Tag, dem Spieltag, erneut versuchen, so hiess es. Der Polizist nahm den letzten Stapel in die Hand. Es waren noch knapp 10 Umschläge übrig, als ich meinen Vornamen und ein Zungen verknotendes Wort vernahm, was vermutlich mein Nachname sein sollte. Ich reckte den Arm in die Höhe. Adresse! Ich antwortete in einem Guß auf Deutsch und nicht sonderlich verständlich...auch nicht für Deutsche. Erstaunte Gesichter wandten sich mir zu, dann Gelächter, der Polizist wurde rot, ich zeigte meinen Ausweis und er reichte mir den Umschlag.

 

Dieser stellte sich als wahre Wundertüte heraus. Er enthielt nämlich nicht nur mein Ticket, sondern auch die Karten für das nächste Spiel in Mérida sowie für das Spiel USA-Paraguay in Barinas. Doch damit nicht genug. Für alle Spiele enthielt der Umschlag nicht nur eine Karte, sondern jeweils zwei! Saubere Sache. "Salvaje" hatte für diese Spiele nämlich keine Tickets und fürchtete bereits, die hohen Schwarzmarktpreise zahlen zu müssen. Nun hatte er Karten und ich die Kosten für zwei Spiele wieder drin. Plötzlich gefiel mir die Organisation von Delujo Promociones. Am Abend gingen wir ohne Plan zum Hotel, in dem die peruanische Nationalmannschaft residierte, da sich dieses unweit unserer Herberge befand. Welch glücklicher Zufall. Die Spieler hatten gerade gegessen und kamen in aller Ruhe vor die Tür, gaben Autogramme oder ließen sich fotografieren. Leider habe ich die Chance verpasst, Guerreo zum FCH zu lotsen. Am nächsten Tag suchten wir die peruanische Kolonie auf. Aßen Ceviche, das peruanische Nationalgericht, begleitet von den obligatorischen Bieren. Dann ging es ins Stadion; allerdings weniger pompös als in Mérida.

 

Das Estadio Pueblo Nuevo (Fassungsvermögen 42.500) ist denkmalgeschützt, weshbalb nur die Haupttribüne neugestaltet worden war. Die Organisation an den Eingängen war tadellos. Das Stadion war bereits zum ersten Spiel gut gefüllt. Die dominierende Farbe im Rund war weinrot; die Farbe des Nationaltrikots Venezuelas. Die Peruaner bildeten einen kleinen weiß-roten Fleck in der Kurve. Uruguayos waren nur in verstreuten kleinen Gruppen auszumachen und Bolivianos sah ich keine. Während "Salvaje" sich der barra anschloss, begab ich mich auf meinen Platz auf der Haupttribüne. Das erste Spiel wurde begleitet von einer ähnlichen Stimmung wie in Mérida beim ersten Spiel. Hin und Wieder stimmte sich das Publikum aber mit Venezuela!-Rufen auf die zweite Begegnung ein.

 

Hugo Chavez! Hijo de Puta!

Dann mitten im Spiel schallte plötzlich lautstark ein Gesang durchs Stadion: Hugo Chavez! Hijo de Puta! Hugo Chavez! Hurensohn! Venezuela ist zweigespalten in Befürworter und Gegner des charismatischen Präsidentens. Stark vereinfacht könnte man sagen, dass die Unterschicht (und das ist in Venezuela der Großteil der Bevölkerung) hinter dem Präsidenten steht und Mittel- und Oberschicht gegen ihn sind. In San Cristóbal ist die Opposition besonders stark. Für das Spiel zwischen Venezuela und Bolivien hatte Chavez zudem zahlreiche Karten an seine Anhänger verteilen lassen. Der Präsident wohnte der Eröffnungszeremonie bei und wünschte keine peinlichen Contrarufe. Diese Maßnahme steigerte natürlich nicht seine Populartät, zumal auf diese Weise viele Fußballfans ausgeschlossen blieben. Die politischen Gesänge gegen die Regierung sollten auch während der zweiten Partie, immer wieder zu hören sein. Man besang, dass die Staatsmacht bald abdanken würde, dass der Präsi fiele und forderte lautstark Libertad! Freiheit! Es waren nicht einzelne Rufer, sondern die überwiegende Mehrheit im Rund.

 

Auf dem Feld zeigte Uruguay eine ansprechendere Leistung als in der ersten Partie, blieb allerdings vor dem Tor harmlos. Bolivien überraschte mich mit schnellem, variantenreichen, beherzten Offensivfußball. Doch hatten die Stürmer oftmals Schwierigkeiten, sich gegen die größer gewachsenen Urus durchzusetzen. Der 1:0-Sieg für Uruguay war letztlich ein wenig glücklich. Bolivien hatte sich aufgrund der beherzten Spielweise mindestens ein Unentschieden verdient.

 

Die Pause zwischen den beiden Spielen war recht kurz. Nun fing die Stimmung an zu knistern. Endlich Fußballatmosphäre. La Vinotino, das Heimteam wurde euphorisch empfangen. In einer der Kurven hatte sich die lokale barra mit den gelb-schwarzen Trikots von Táchira versammelt. Sie sangen durch wie bei einem Ligaspiel. Die übrigen Zuschauer folgten den Gesängen allerdings nur selten und sangen stattdessen eigene Anfeuerrungsrufe oder ließen die Welle durchs Rund schwappen. Die Tore wurden ausgelassen bis frenetisch gefeiert. Es war erst der zweite Sieg in der Copageschichte Venezuelas. Die Peruaner sah man zwar gelegentlich hüpfen, zu hören waren sie von der Haupttribüne aus allerdings nicht. Lediglich ein selbst gebasteltes Hupen-ähnliches Instrument war deutlich zu vernehmen. Sobald die Peruaner Gesänge anstimmten, erhoben sich die umsitzenden Venezolaner und stimmten Gegengesänge an. Dabei blieb es aber; alles friedlich, auch ohne Polizeischutz. Am Ende feierte die Mehrheit im Stadion den Sieg ausgelassen unter dem vom Feuerwerk entflammten Nachthimmel.

 

Das Spiel an sich war eher mäßig. Peru begann ähnlich wie gegen Uruguay und kontrollierte zunächst das Spiel. Eine frühe Rote Karte nach einer dummen Tätlichkeit warf das Konzept allerdings ein wenig durcheinander. Dennoch konnte Peru das Heimteam weitherhin kontrollieren. Es entwickelten sich nur wenige Torszenen, was vor allem an der Spielweise Venezuelas lag. Der Gastgeber stand sehr tief mit dicht gestaffelten Abwehrreihen und beschränkte sich darauf, auf Fehler des Gegners und Kontergelegenheiten zu lauern. Selbst nach der Roten Karte änderten sie das System nicht. Sie spielten wie ein kleines Team, equipo chico, was angesichts der Gastgeberrolle doch ein wenig überraschte. Erst ein Eckball anfangs der zweiten Halbzeit, bei dem Cichero sträflich frei zum Abschluss kam, brachte die Wende. Mit dem 1:0 und dem feiernden Publikum im Rücken traute sich Venezuela häufiger vor das Tor. Als Peru zunehmend öffnete und den Ausgleich suchte, gelang das 2:0. Peru verlor nun den Faden und Venezuela konnte mühelos den ersten Sieg im Turnier einfahren.

 

Im Vergnüngsviertel waren nachts die weinroten Trikots überall zu finden. In den Diskotheken und Bars stimmten DJs Fanlieder an und die Meute tobte, sang und tanzte. Eine herrlich ausgelassene Partystimmung. Nur die Peruaner brauchten lange, bis ihnen das Bier schmecken wollte.

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Bolivien 0:1 Uruguay & Venezuela 2:0 Peru, Estadio Polideportivo de Pueblo Nuevo, San Cristóbal, Venezuela, 30.06.2007, 16:05 bzw. 18:20, Gruppe A, 2. Spltg.

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