El Clásico

05.09.2009 - Argentinien vs. Brasilien

Wer die Stars der europäischen Spitzenklubs sehen will, muss nach Südamerika schauen. Bei keinem anderen Länderspiel versammelt sich so viel Prominenz, wie beim Duell Argentinien-Brasilien.

von Christian Piarowski

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»Wir alle wissen doch, dass man Maradona nicht ernst nehmen kann«. Nein, Edison Arantes do Nascimento, besser bekannt als Pele, ist dieser Tage wahrlich nicht gut zu sprechen auf Diego Armando Maradona. Der kleine Argentinier hatte das brasilianische Fußballidol vor kurzem in einem Interview mit fifa.com als ewigen Zweiten und sich selbst als weltbesten Fußballer aller Zeiten bezeichnet. Ein solcher Streit zwischen Pele und Diego kann nur eins bedeuten: Es steht eine Neuauflage des Südamerika-Klassikers Argentinien gegen Brasilien an.

Wenn nach deutscher Zeit um 02:30 Uhr in der Nacht vom Samstag zum Sonntag die beiden Fußballmächte aufeinander treffen, geht es um mehr als nur drei Punkte auf dem Weg zur WM 2010 in Südafrika, es ist ein Kampf um die fußballerische Vorherrschaft in Südamerika.


Als Carlos Tevez am vergangenen Montag in Buenos Aires landete, verkündete er denn auch sogleich martialisch, die Brasilianer auffressen zu wollen. Aus Brasilien konterte Luis Fabiano lapidar, dass die Argentinier viel reden würden, da sie voller Sorgen dem Duell entgegen blicken.

Derartiges Wortgeplänkel gehört zu diesem Gipfeltreffen einfach dazu. Brasilien hat gegen keinen Gegner öfter verloren als gegen Argentinien. Doch über die genaue Statistik sind sich beide Verbände uneins. Seitdem sich am 20. September 1914 beide Kontrahenten zum ersten Mal gegenüber standen (Argentinien gewann mit 3:0), zählte der argentinische Fußballverband bislang in 90 offiziellen Begegnungen 33 Siege und 24 Unentschieden, womit die Bilanz ausgeglichen ist. Die Brasilianer glauben jedoch den Vorteil auf ihrer Seite und zählen 93 Spiele mit 36 Siegen.


 
Branco mit Valium ausgeknockt

An eines dieser anekdotenhaften Duelle erinnert man sich in Argentinien dieser Tage besonders gerne. Am 24. Juni 1990 trafen die Rivalen in Turin im WM-Achtelfinale aufeinander. Brasilien war deutlich überlegen, bestürmte pausenlos das argentinische Tor, fand aber kein Mittel gegen einen glänzend aufgelegten Keeper Goycochea.

Die heutigen Trainer beider Nationalmannschaften, Dunga und Maradona, standen sich damals als Spieler auf dem Platz gegenüber. Zehn Minuten vor Spielende schnappte sich Maradona den Ball im Mittelkreis, dribbelte unaufhaltsam bis zum Strafraum und passte den Ball mit letzter Kraft quer zu Caniggia, kurz bevor Dunga eingreifen konnte. Caniggia verwandelte mühelos, Argentinien gewann mit 1:0.

Diese Partie sorgte damals wie heute für viel Wirbel. Branco erhob schwere Vorwürfe, ein argentinischer Betreuer habe ihn eine Wasserflasche gereicht, die mit Betäubungsmittel gefüllt gewesen sei. Der Brasilianer taumelte in der Folge über den Platz, und ihm versprangen selbst einfache Bälle. Maradona hat später zugegeben, dass dem Wasser Valium beigemischt war. Der damalige Coach Carlos Bilardo (heute im Trainerstab) leugnet dies jedoch noch immer. Auch fast 20 Jahre danach trauen die Brasilianer den Argentinier noch immer nicht und werden zum Spiel ihr eigenen Trinkvorräte mitbringen.



Ansonsten gehen die Brasilianer gelassen in die Partie, sie haben auch keinen Grund zur Aufregung. Seit 17 Spielen sind sie ungeschlagen, seit dem 0:0 im Hinspiel. Sie führen derzeit die Qualifikationstabelle an, haben sieben Punkte Vorsprung auf den 5. Platz und fünf Zähler auf Argentinien. Die WM-Teilnahme ist den Brasilianern bei vier verbleibenden Spielen nur noch theoretisch zu nehmen.



Carlos Dunga kann in Rosario auf ein eingespieltes Team zurückgreifen, lediglich die Rückkehr von Adriano in die Selecao sorgte für Überraschung. Doch der ehemalige Inter-Star wird am Samstag nur zuschauen dürfen. Im Sturm soll das erflogreiche Trio um Kaká, Robinho und Luis Fabiano für Wirbel sorgen.



Maradona unter Druck

Ganz anders ist die Situation bei den Argentiniern. Der Start in die Qualifikation verlief holprig, der damalige Trainer Alfio Basile geriet schnell in die Kritik, auch da die Stars, die in Europa für Furore sorgten, in der Nationalmannschaft nie ihr Potential entfalteten. Im Oktober 2008 wurde Basile nach einer Niederlage gegen Chile von Maradona abgelöst. Seitdem Diego Regie führt, zeigt die »Seleccion« ein wechselhaftes Gesicht, glanzvollen Siegen in Freundschaftsspielen gegen Frankreich und Russland stehen teils peinliche Auftritte in der WM-Qualifikation gegenüber. In der Höhe von La Paz ließ Maradona sein Team von Beginn an Powerfußball spielen.

Nach 20 Minuten begannen Messi und Co., nach Luft zu ringen, die Bolivianer kamen zu Toren wie im Training und gewannen mit 6:1. Es war die höchste Niederlage Argentiniens seit 41 Jahren. Seitdem ist auch Maradona, der zuvor unantastbar schien, in die Kritik geraten.



Für das wichtige Duell mit Brasilien wollte Diego nun nichts dem Zufall überlassen. Da beim letzten Heimspiel gegen Kolumbien der Rasen im Stadion Monumental von Buenos Aires nach einem Konzert in miserablem Zustand war und auch die Unterstützung durch das Publikum im größten Stadion des Landes für »el diez« nicht stimmungsvoll genug ist, drängte Maradona den Verband, das Spiel gegen Brasilien in Rosario austragen zu lassen. Die Rosarinos gelten als besonders fussballverrückt, Fans campierten tagelang in Nähe der Stadionkassen, um ein Ticket zu ergattern. Rosario Central, Besitzer des Stadions Gigante de Arroyito, musste auf Geheiß Maradonas extra einen neuen Rasen pflanzen und neue Bewässerungsanlagen kaufen, selbst die Rasenhöhe wurde von Maradona vorgeschrieben.



Der gleiche Aktionismus zeigt sich unter Maradona auch im sportlichen Bereich. Seitdem Diego im Amt ist, wird die Nationalmannschaft regelmäßig durcheinander gewürfelt. Einzig konstant ist, dass Diego gern auf Spieler setzt, die in Argentinien aktiv sind. Unter Maradona debütierten bereits zahlreiche Profis und viele Altstars wurden reaktiviert, so steht diesmal im Kader für die nächsten zwei Spiele der 35-jährige Martin Palermo von Boca Juniors. Eine Stammformation hat sich so noch nicht herauskristallisiert.



In der Aufstellung für Samstag befindet mit Sebastian Dominguez erneut ein Debütant. Der 29-jährige Abwehrspieler vom argentinischen Meister Velez Sarsfield soll zusammen mit seinem international unerfahrenen Vereinskollegen Nicolas Otamendi die brasilianischen Sptizen Luis Fabiano und Robinho in den Griff bekommen. Im Mittelfeld soll der mittlerweile nicht mehr allzu schnelle Veron das Offensivspiel ankurbeln und die Spitzen Messi und Tevez mit Vorlagen füttern. Sollte dieses Experiment schief gehen, wird auch für Diego Armando Maradona die Luft dünner.



Am Donnerstag versammelte der Nationalcoach Spieler und Funktionäre zur gemeinsamen Messe. Maradona erhofft sich Beistand von oben. Vielleicht klappt es ja, so wie 1986, als Gott ihm die Hand reichte.