¡Argentina campeón!

12.07.2021 - Bericht von der Jubelfeier am Obelisken

Ganze 28 Jahre musste Argentinien auf einen Titel warten, dennoch gab es nicht die ganz große Party.

von Christian Piarowski

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Als am Samstagabend kurz vor 23:00 Uhr der Schlusspfiff im Finale der Copa América ertönte, war es endlich soweit: Die 28 Jahre währende titellose Durststrecke der argentinischen Nationalelf war beendet. Wer nun erwartet hatte, Argentinien und allem voran die Hauptstadt Buenos Aires würde sich in ein Tollhaus verwandeln, der sah sich getäuscht. Schon im Verlauf der Copa América und auch vor dem Finale war von der ganzen großen Euphorie aus verschiedenen Gründen wenig zu spüren gewesen.

 

(Mehr dazu im Interview auf 11FREUNDE.de)

 

 

Dennoch hatten dann aber am Ende nahezu alle Fußballfans des Landes und auch viele, die sich für Fußball nur zu bestimmten Anlässen interessieren, den Abend vor dem Fernseher verbracht, ob daheim mit der Familie, bei Freunden oder gemeinsam, so weit möglich, in Restaurants und Bars. Und natürlich machten sich tausende Menschen in Buenos Aires direkt nach Abpfiff auf zum Obelisken im Zentrum der Hauptstadt, wo traditionell wichtige Ereignisse und Titel gefeiert werden. Aber die Massen, wie sie bei anderen Gelegenheiten, etwa 2010 zur 200-Jahrfeier der Unabhängigkeit vorzufinden waren, kamen nicht. Selbst bei einigen Vereinsmeisterschaften vor der Pandemie waren gefühlt mehr Menschen vor Ort gewesen. Das hatte mehrere Gründen. Allen voran sind die Beschränkungen zu nennen, die aufgrund der Pandemie herrschen. So etwa der Transport mit öffentlichen Verkehrsmittel eingeschränkt und eigentlich nur für Menschen aus bestimmen Berufszweigen gedacht. Auch haben viele angesichts einer 7-Tage-Inzidenz um die 270 nur wenig Lust verspürt, in eine feiernde Masse einzutauchen, unabhängig davon, wie sehr sie selbst zum Feiern aufgelegt waren. Zudem herrschte eigentlich ein Ausgangsverbot ab Mitternacht. Dass dies nicht strikt kontrolliert werden würde, war zu erwarten gewesen, aber nicht wenige hatten noch die Bilder vom Polizeieinsatz bei der Trauerfeier für Diego Maradona vor Augen.

 

(Mehr dazu im Artikel: Chau, Diego)

 

 

Zu spekulieren, was gewesen wäre, wenn all das nicht die Feierlaune gedämpft hätte, ist sicher müßig. Und nicht alles lässt sich mit der Pandemie erklären. Denn Fakt ist auch: Viele Fans, die bereits einen Titel der Selección erleben durften, waren diesmal weniger euphorisch. So war von nicht wenigen „älteren Semester“ etwa zu hören, dass der Titel 1993 viel größere Euphorie ausgelöst habe. Die genannten Gründe waren vielfältig. Bei einigen haben die wiederholten Enttäuschungen das Verhältnis zur Nationalelf abgekühlt, wieder andere haben die Entwicklungen im Fußball allgemein, insbesondere aber das Geschäftsgebaren und die Machenschaften der AFA die große Leidenschaft genommen. Vielleicht ist es auch einfach eine normale Entwicklung, dass mit zunehmendem Alter andere Dinge im Leben in den Vordergrund rücken. So oder so, letztlich verwunderte es nur wenig, dass um den Obelisken herum nahezu ausschließlich junge Menschen feierten, Menschen unter 30 Jahre, für die es der erste Titel war...und die in den letzten Monaten allegemein ihre Möglichkeiten zum Feiern eingeschränkt gesehen hatten. Dies war schon nach dem WM-Finale 2014 so, als vor allem junge Leute die Vizeweltmeisterschaft am Obelisken feierten, während die Finalniederlagen gegen Chile 2018 und 2019 natürlich niemanden zum Jubeln angeregt hatten.

 

(Mehr dazu im Artikel: 2014: Argentinien - Deutschland)

 

 

Diejenigen, die nun am Samstag da waren, feierten ausgelassen und friedlich bis weit in die Morgenstunden. Die Polizei hielt sich dezent zurück, trotz offensichtlicher Verstöße gegen die Hygienevorschriften und gegen das Ausgangsverbot. Als ich die Szenerie gegen 02:30 Uhr verließ, kamen noch immer Menschen hinzu, und etwa genau so viele machten sich auf den Heimweg.Von der Polizei war zu diesem Zeitpunkt kaum etwas zu sehen. Ähnlich verlief es in den anderen Städten des Landes. Am Sonntag mussten die Feierwilligen in den sozialen Medien einen Shitstorm über ihre Unverantwortlichkeit angesichts der schwierigen Pandemie erleben, egal, ob die Zeigefingerheber nicht alltäglich ähnlich unverantwortlich handeln. Die Pandemie nervt - alle.

Doch bereits heute am Montag geht das Leben aber wieder seinen gewohnten Gang, so wie es das auch getan hätte, wenn das Spiel mit einem Sieg für Brasilien zu Ende gegangen wäre. Ganz so wie auch nach den verlorenen Finalen bei WM und Copa América im letzten Jahrzehnt.