Superclásico: U de Chile - Colo-Colo
29.04.2007 - Vor Ort im Estadio Nacional
Das Superclásico des chilenischen Fußballs bot in der Apertura 2007 mehr auf den Rängen als auf dem Platz. Fotos und Bericht.
von Christian Piarowski
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Das Superclásico begann bereits Tage vor dem Anpfiff. In der Stadt hatten sich an verschiedenen Punkten Fans beider Seiten aufgestellt und sammelten Münzen für die Finanzierung der Choreographien. Das Zentrum um die Plaza de Armas und den umliegenden Fußgängerzonen hatten sich die Colocolinos gesichert. Am Samstagabend waren dann in zahlreichen Bars bereits die ersten Gesänge zu hören.
Der Klassiker zwischen U de Chile und Colo-Colo ist das Spiel, das mit Abstand die meisten Zuschauer ins Stadion lockt. Die Karten wurden übers Internet und an verschiedenen Ticketcentern in der Stadt verkauft. Der Verkauf lief insgesamt gut. Dies, obwohl ein verlängertes Wochenende bevorstand, an dem viele Chilenen die letzten warmen Tage des Jahres nutzten, um zu verreisen. Am Ende sollte das Nacional mit 55.000 Zuschauern nicht ganz ausverkauft sein. Insgesamt waren 60.000 Tickets zum Verkauf freigegeben worden (Kap. ca. 66.000).
Historische Spielstätte
Das Estadio Nacional ist eine riesige Betonschüssel und war Schauplatz der WM 1962. Hier tragen Universidad de Chile und das Nationalteam ihre Heimspiele aus. Oft muss Colo-Colo aus Sicherheitsgründen bei großen Spielen hierher ausweichen. Das Stadion war 1973 unter Pinochet Schauplatz eines der dunkelsten Kapitel der chilenischen Geschichte. Es diente im Zuge des Putsches gegen Allende vom 11. Sep. bis 9. Nov. 1973 als Gefangenenlager. Insgesamt ca. 40.000 Menschen wurden hier interniert, bevor sie in Gefängnisse in der Atacama-Wüste deportiert wurden. Eine beträchtliche Anzahl der Gefangenen fand hier nach brutalen Verhören den Tod durch die Hände des Militärs. Unter ihnen auch Víctor Jara, bekannter Musiker und Theaterregisseur.
Mir war mehrfach ans Herz gelegt worden, mich mindestens zwei Stunden vor Anpfiff im Stadion zu befinden. Ich machte mich also gegen 13:00 Uhr auf den Weg, um ganz sicher zu gehen. Sonntagmittag wirkt die Innenstadt ohnehin wie ausgestorben und es gibt nicht viel zu tun. In der Metro traf ich dann auf eine größere Gruppe Colo-Colo Anhänger. Vorfreude war ihnen in die Gesichter geschnitzt und mit lauten Gesängen ließen sie die U-Bahn hüpfen. Die Fahrt war also alles andere als langweilig. Die Strasse von der Station Ñuble bis zum Stadion war bereits voll mit Colocolinos. So konnte ich mich nicht verlaufen, auch wenn ein Typ mit einem Feuerlöscher für reichlich Nebel sorgte. Später sollte ich lesen, dass es vor dem Spiel einzig in eben jener Metrostation zu Vorfällen gekommen war. Dabei wurde ein Sicherheitsmann der Metrogesellschaft verletzt. Möglicherweise stammte der Feuerlöscher von dort. Sonst blieb alles weitestgehend friedlich.
Viel Polizei
Am Stadioneingang gab es reichlich schwer bewaffnete Polizei. Man musste zwei Sicherheitskontrollen passieren. Im Grunde war alles verboten auch Kameras und sonstige Dokumentationsgeräte. Da die Polizistin am ersten Sicherheitsring mich aber nicht abtasten wollte und lediglich fragte, ob ich brennbares Material und Feuerzeug dabei habe, gelang es mir, wie vielen anderen Tribünengängern auch, eine kleine Cam hineinzuschmuggeln. Beim zweiten Sicherheitsring galt es, Metalldetektoren zu passieren, wie es sie auf Flughäfen gibt. Obwohl diese bei fast allen Besuchern fröhlich piepten, beschränkten sich die beistehenden Polizisten auf vereinzelte Stichproben. All diese Sicherheitskontrollen passiert, befand ich mich dann mehr als zwei Stunden vor dem Spiel im Stadion.
Die "Gäste"-Kurve war da bereits gut gefüllt. Bier gibt es in Chile im Stadion nicht. Dennoch gestaltete sich die Wartezeit ziemlich kurzweilig, da die Schwarz-Weißen bereits des Öfteren ihre Gesänge anstimmten. Die Vorfreude angesichts des sicheren Sieges war ihnen anzumerken. Colo-Colo war der aktuelle Meister und lag in der Tabelle erneut nahezu uneinholbar vorne. Auch in der Copa Libertadores war "El Cazique" noch vertreten. Der Verein hat in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet, sich neu strukturiert und durch clevere Verkäufe auch die Finanzen in Ordnung gebracht. Colo-Colo ist momentan der finanzstärkste Verein Chiles. Ganz im Gegensatz dazu U de Chile, das große finanzielle Probleme hat und in der Tabelle im Mittelfeld feststeckte. Es hat sich in den letzten Jahren diesbezüglich eine erhebliche Kluft zwischen beiden Vereinen aufgetan.
Der jüngste Millionendeal Colo-Colos ist der Verkauf des Jungstars Vidal an Bayer Leverkusen. Die Vereinsführung verlor nicht den Kopf, als zuvor bereits andere Vereine aus Europa mit Millionenofferten lockten. Völler selbst brachte den neuen Geldsegen. Dem jungen Vidal, der aus bescheidenen Verhältnissen stammt, schien in jenen Tagen sein Millionenvertrag etwas zu Kopf gestiegen zu sein. Nach dem Spiel beschwerten sich mehrere Spieler von "U" bei der Presse, der Jungstar habe ihnen gehässig eine Gehaltszahlung angeboten (bei U verdient man deutlich weniger als bei Colo Colo). Während des Spiels sah man Vidal viel lamentieren und mit den Gegnern diskutieren. Seine fußballerischen Qualitäten spricht ihm hier niemand ab, ob er auch charakterlich für den Wechsel bereit ist, muss sich erst zeigen (Nachträglich, kann man anmerken, dass es ihm sehr gut gelungen ist :-) ).
Ich hatte am Eingang bereitwillig mein Feuerzeug abgegeben, um nicht doch noch kontrolliert zu werden. Irgendwann bekam ich aber doch große Lust zu rauchen. In Chile und Argentinien fällt es schwer, standhaft zu bleiben, da alle wie die Schlote paffen. Ich fragte einen eleganten Señor nach Feuer, der gerade sehr auffällig seine gesamte Familie eine Reihe vor mir platziert und dem Platzanweiser ein üppiges Trinkgeld spendiert hatte. Es entwickelte sich dabei wie hier üblich ein kurzes Gespräch. Als er vernahm, dass ich aus Deutschland komme, klopfte er sich auf die Brust und sagte stolz: "Ich habe Vidal verkauft!" Sein Vater war aus Deutschland nach Chile geflüchtet, als das Naziregime bereits die halbe Familie verbrannt hatte. Erstaunlicherweise war er dennoch recht gut auf die Deutschen zu sprechen.
Gegenseitige Präsentation geruppter Banner
Als sich auch die U-Kurve füllte, begannen beide Fangruppen, die der Gegenseite geraubten Banner zu präsentieren, begleitet wurde dies von herben Spottgesängen. Dann sollte es endlich soweit sein. Das Auflaufen der Mannschaften stand bevor. Die U-Kurve brannte (und das ist keine leere Phrase) ein wahres Feuerwerk ab. Dazu sangen alle U-Fans einheitlich im Stadion was die Stimmbänder hergaben. Grandios! Die Gegenseite antwortete mit ein paar Papierschlangen und kaum hörbaren Gesängen, die stets schnell abbrachen. Zudem fand sich in ihrer Kurve eine ziemlich große Lücke.
Das Spiel begann und es sangen nur die Fans von Universidad de Chile. Waren die Colocolinos vom Intro beeindruckt? Es verging eine Minute, eine weitere; nichts! Die Kurve war nicht nur nicht zu hören; sie schwieg! Als dann die U-Fans über die Stille der Gäste zu spotten begannen, tauchte plötzlich innerhalb weniger Sekunden ein Banner auf. "Contra Equipo Chico Llegamos Tarde" - "Gegen ein kleines Team kommen wir später." Die Barra Brava besetzte nun die erwähnte Lücke im Block. Bei ihrem Einmarsch begann die gesamte Kurve wie auf Kommando zu singen. Die aufgestauten vier Minuten Schweigepflicht machten sich nun lautstark Luft. Dazu gab es ebenfalls ein feines Feuerwerk und Böller, die man wohl noch bis über die Anden in Argentinien gehört haben dürfte. Phänomenal!
Es war dann ab der 15. Minuten, dass ich mich zum ersten Mal dem Geschehen auf dem Platz zuwandte. Es war ein schnelles Spiel mit verbissen geführten Zweikämpfen um jeden Ball, ohne dass dabei jedoch die Grenze zur Brutalität überschritten wurde. Colo-Colo war, sobald in Ballbesitz, bemüht, in den gegnerischen Strafraum einzudringen. Dies gelang ihnen jedoch gegen die dicht gestaffelte Abwehr der Blauen nur selten. "La U" beschränkte sich darauf, aus einer konzentrierten Defensive mit Kontern zum Erfolg zu kommen. Ganz wie ein kleines Team eben, so wie es höhnisch mehrfach aus der Gästekurve schallte.
Nach einem unnötigen Foul an der Seitenlinie musste Universidad ab der 60. Minute mit nur zehn Mann dem Sturmlauf Colo Colos standhalten. War die Partie bis dahin ausgeglichen, wurde es nun ein Spiel auf ein Tor. Doch ohne Erfolg. In der Nachspielzeit vergab Vidal die große Möglichkeit zum Siegtreffer. Es blieb beim 0:0, mit dem die Blauen sichtlich zufrieden waren. Die an Höhepunkten arme Partie wurde begeleitet von einem fantastischen Spektakel auf den Rängen, ganz so, wie es mir zuvor versprochen worden war.
Beide Kurven lebten das Superclásico intensiv und verstummten keine Minute. Während sich auf der Tribüne die Fans mischten, war das restliche Stadion strikt in Schwarz-Weiß und Blau-Rot aufgeteilt. Insgesamt waren die Colo Colo Anhänger etwas in der Überzahl. Die Gesänge wechselten zwischen Support für das eigene Team und Spott für den Rivalen. Kaum zu glauben, aber in der zweiten Hälfte sollten sich beide Fanlager noch steigern. Mit jeder Minute, mit der das Spiel seinem Ende entgegenging, steigerte sich das Stimmungsduell. Die Inflation der Superlative in diesem Text hat hier allerdings ein Ende. Mir fallen nämlich keine Worte ein, mit denen es zu beschreiben wäre, was das für ein Erlebnis war, als zwei völlig entfesselte Fanblöcke frenetisch sangen und dazu minutenlang die gesamten Kurven hüpften.
Nach dem Spiel kam es laut Presse an verschiedenen Punkten der Stadt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Fangruppen, sowie zwischen ihnen und der Polizei. Ich habe davon nichts mitbekommen. Es gab ca. 30 Festnahmen, die Polizei war zufrieden. Es sei deutlich friedlicher gewesen, als in vielen Partien der letzten Jahre
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Universidad de Chile 0:0 Colo-Colo, Estadio Nacional, Santiago, 29.04.2007, 15. Spltg. Apertura 2007 - Superclásico del fútbol chileno
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