Chau Sapito

03.10.2012 - In Gedenken an Sergio Livingstone

Sein Vater, ein ruheloser Boheme schottischer Abstammung, brachte den ersten Fußball nach Chile. Sergio Livingstone dagegen wurde zum Star - auf der Position des Torhüters.

von Christian Piarowski

  • Text
  • Ähnliches

Sergio Roberto "Sapito" Livingstone Pohlhammer

26.03.1920 – 11. 09 2012

 

In einer Zeit, als die Torhüter noch mit blanken Händen nach den Bällen hechteten, war es in Chile üblich, herausragenden Torhütern poetische Spitznamen zu geben, wie "Elastikknie", "Adlerklaue" oder "Eisenmauer". Sergio Livingstone aber nannten sie Sapito, das Fröschlein. Da er im Sprung die Beine anwinkelte - und weil dringend irgendein Name hermusste, denn Livingstone reimt sich im Spanischen auf ein bis heute in Chile beliebtes Schimpfwort. Gegnerische Fans fingen schnell an, entsprechende Lieder zu texten. Den Nachnamen und die Leidenschaft für den Fußball verdankt er seinem Vater, einem ruhelosen Bohemien schottischer Abstammung, der den ersten Fußball nach Chile gebracht haben soll. Die deutsche Mutter verstarb früh und Sergio verbrachte seine Jugend überwiegend im Internat.

 

Dort begann er auch mit dem Fußballspielen. Von Beginn an zog es ihn in den Kasten. Bereits mit 15 sollte er für Unión Española das Tor hüten. Allerdings durfte Sergio häufig wegen schlechten Betragens das Internat am Wochenende nicht verlassen und kam daher kaum zum Einsatz. Mit 18 begann er ein Studium der Rechtswissenschaft an der Katholischen Universität von Santiago. Dort lernte Sapito die Spieler der im Jahr zuvor gegründeten Uni-Fußballmannschaft kennen. Noch im gleichen Jahr feierte er sein Profidebüt für Universidad Católica. Zwei Jahre später brach er das Studium ab, um sich ganz dem Fußball zu widmen. Mit seiner Persönlichkeit prägte er die Anfangsjahre des Vereins, der mittlerweile der dritterfolgreichste Klub Chiles ist. Livingstone trieb gegnerische Stürmer regelmäßig zur Verzweiflung. Er gilt bis heute als der beste Torhüter Chiles. Dies nicht allein wegen seiner unglaublichen Paraden, sondern auch wegen seiner Ausstrahlung auf dem Platz. Selbst Gegner verehrten ihn. Bei der Qualifikation für die WM 1954 wurde Chile von Paraguay vorgeführt. Der Traum von der WM-Teilnahme platzte frühzeitig. Dennoch wurde Livingston auf den Schultern durchs Stadion getragen und gefeiert – von den Stürmern der gegnerischen Mannschaft. In seiner aktiven Zeit sorgte Livingstone derart für Furore, dass sie in der Küstenstadt Coquimbo gleich einen ganzen Fußballverein nach ihm benannten. Da war Sapito gerade einmal 23 Jahre alt.

 

Bei der Südamerikameisterschaft von 1941 trug er als 20-Jähriger zum ersten Mal das Trikot  der Nationalmannschaft. In 52 Spielen verteidigte er das Tor für die Nationalelf, die er bei der WM 1950 als Kapitän anführte. Mit 34 Spielen ist er noch immer Rekordspieler der Copa América.  Bald wurde man auch im Nachbarland Argentinien auf ihn aufmerksam. Der Topverein Racing Club verpflichte Livingstone für eine Ablöse von 240.000 US-Dollar. Eine Rekordsumme für die damalige Zeit. Die ersten Spiele für die "Academia" verliefen katastrophal, doch bald schaffte es Sapito auf die Titelseite von El Gráfico, der damals wichtigsten Sportzeitung Argentiniens. Zweimal führte er Racing sogar als Kapitän aufs Spielfeld, wurde zum zweitbesten Torwart der Saison gewählt. Dennoch war das Auslandskapitel nach nur einem Jahr wieder beendet. Als Racing auf Promo-Tour durch Chile tingelte, verliebte sich Livingstone und kehrte nicht mehr nach Argentinien zurück. Von dort schickten sie ihm später seine Koffer und die 11 maßgeschneiderten Anzüge (einen für jeden Monat in Buenos Aires) per Post nach Santiago zurück. Aus der Liebschaft wurde eine Ehe, aus der seine zwei Söhne stammen. Bereut hat er diesen Schritt daher nie, auch wenn die Ehe schließlich scheitern sollte. Nach seiner Rückkehr schloss er sich erneut Universidad Católica  an und feierte dort zwei Meistertitel. Die Haupttribüne des Vereinsstadions trägt aus Dank und Annerkennung seit 2009 seinen Namen.

 

Nach seiner Zeit als Profi arbeitete Livingstone bis ins hohe Alter erfolgreich als Sportjournalist. Erst im August, nach den Olympischen Spielen in London, legte er eine Ruhepause ein. Er starb wenige Wochen später am 11. September im Alter von 92 Jahren.