Welttorjäger Lucas Barrios im Porträt

28.07.2009 - Torschützenkönig zum BVB

37 Tore in 38 Ligaspielen, das klingt beachtlich. Lucas Barrios holte sich mit dieser Trefferquote den Titel des Welttorjägers 2008.

von Christian Piarowski

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37 Tore in 38 Ligaspielen, das klingt beachtlich. Lucas Barrios holte sich mit dieser Trefferquote den Titel des Welttorjägers 2008, er schoss vier Tore mehr als der zweitplatzierte Klass-Jan Huntelaar in derselben Spielzeit für Ajax. Barrios trägt in Chile den Spitznamen »la pantera«, der Panther, da er vor dem Tor präzise und eiskalt wie eine Raubkatze bei der Jagd ist.


Lucas Barrios' hervorstechensten Eigenschaften sind seine Dynamik und sein Torinstinkt. Trotz seiner Größe von 1,89 Meter verfügt er zudem über eine feine Technik und überzeugt mit Spielübersicht beim schnellen Zusammenspiel mit seinen Sturmkollegen. Seine Schwächen liegen nach eigenen Angaben im Kopfballspiel. Sein Größenvorteil, der ihm in der 1. Liga Chiles zu seiner traumhaften Trefferquoten verhalf, fällt in der Bundesliga weg. In Dortmund absolvierte Barrios wenige Stunden nach dem langen Flug von Chile nach Deutschland seine erste Trainingseinheit mit den neuen Kollegen. Es gilt keine Zeit zu verlieren, denn viel wird davon abhängen, wie schnell sich Barrios in das Team integrieren kann. »Ich muss und werde mich so schnell wie möglich anpassen«, sagte Barrios dem »kicker«. In seiner bisherigen Karriere gelang ihm das nicht allerorts auf Anhieb.


»Zu klein, zu schmächtig«
Die Fußballkarriere des Lucas Barrios begann holprig, er musste sich seinen Weg in die Bundesliga hart erarbeiten. Zusammen mit sieben Brüdern wuchs Barrios in Virreyes, ein Vorort von Buenos Aires, in bescheidenen Verhältnissen auf. Die ersten Schritte auf einem Fußballplatz machte Barrios an der Hand seinen Cousins Marcelo Cáceres, der ihn als Spieler bei den Chacarita Juniors stets als Glücksbringer mit aufs Feld führte. Sein Cousin und sein Vater waren es auch, die ihn bei den Rückschlägen in seiner Karriere unterstützten. Davon gab es einige. In der Nachwuchsabteilung von Huracan Buenos Aires wurde Barrios schnell ausgemustert; zu klein, zu schmächtig sei er, hieß es. Erst mit 16 wuchs Barrios in die Höhe und erreichte seine heutige Größe von 1,89 Metern. Sein Profi-Debüt gab er 2003 unter Trainer Gareca in der 2. Liga Argentiniens für die Argentinos Juniors, dort begann auch Diego Maradona seine Fußballkarriere. Doch als Gareca gehen musste, war auch für Barrios nach 5 Toren in 15 Spielen Schluss. In Argentinien wollte ihn danach niemand verpflichten.
Der Argentinier Claudio Nigretti holte ihn nach Chile zu Deportes Temuco. Für den Provinzverein, bei dem er monatelang sein Gehalt nicht ausbezahlt bekam, erzielte Barrios 12 Treffer, konnte den Abstieg in die 2. Liga allerdings nicht verhindern. Bei seiner nächsten Station Cobreloa Calama konnte er  mit 26 Toren in 39 Spielen erstmals auf sich aufmerksam machen. Es folgte ein Wechsel nach Mexiko zu Atlas Guadalajara, wo Barrios aber nach nur einem halben Jahr ausgemustert wurde. Erneut stand der Argentinier vor einem Tiefpunkt. Anfang 2008 kehrte er zurück nach Chile zum Volksklub Colo Colo, der nach dem Weggang des Idols Humberto Suazo dringend nach einem Stürmer suchte. Es war die vielleicht letzte Chance auf den Durchbruch für Barrios, er nutzte sie. Dank seiner Treffer holte Colo Colo die Meisterschaft und Barrios den Titel als Welttorjäger.


Bereits zum Jahreswechsel sollte Barrios nach Europa transferiert werden, doch Anfragen von AS Nancy und Espanyol Barcelona scheiterten an den hohen Ablöseforderungen der Klubführung Colo Colos. Lucas Barrios blieb für ein weiteres halbes Jahr in Chile, schoss in der ersten Saisonhälfte in 13 Spielen elf Tore. Die meisten seiner Treffer erzielt der »Panther« eher unspektakulär, er profitiert vor allem von seiner Antizipation und seinem Instinkt. Hin und wieder gelingt ihm aber auch ein  Traumtor durch Fallrückzieher oder Alleingänge. Beliebt bei den Fans von Colo Colo machten ihn vor allem seine Treffer gegen den Erzrivalen Universidad de Chile.


So auch am 19. April 2008. Für Colo Colo ging es nach einer verkorksten Saison praktisch um nichts mehr, doch das Spiel gegen Universidad ist in Chile etwas Besonderes, die Partie mit dem mit Abstand größten Zuschauerandrang. Es war heiß, die Zuschauer etwas gelangweilt. Colo Colo führte bereits mit 1:0, als Barrios allein vor dem gegnerischen Torwart auftauchte. Der ein wenig ungelenk wirkende Barrios stand im besten Winkel für einen Schlenzer ins lange Eck, doch er zögerte zulange. Die Chance war vorbei. Die Zuschauer winkten bereits ab, »Idiot«, lag vielen auf der Zunge, da wechselte Barrios in Sekundenbruchteilen das Standbein und schoss den Ball mit Links ansatzlos am verdutzen Keeper vorbei ins kurze Eck. Es dauerte einen Moment, bis die Zuschauer realisierten, was sie gerade gesehen hatten. Während die eine Hälfte jubelte, spendeten auch Fans des Gegners zähneknirschend Applaus.


Nicht allein wegen solcher Tore wollten Fans von Barrios den Argentinier in der Nationalmannschaft Chiles sehen. Sie sammelten Unterschriften, damit Barrios die chilenische Staatsbürgerschaft bekommt. Doch der »Panther« sprach sich dagegen aus, da er seinen Traum vom Debüt für die argentinische Nationalelf nicht aufgeben will. Diego Maradona soll Barrios bereits seit längerem auf einer erweiterten Liste stehen haben. Einen Nominierung gab es bisher jedoch nicht.


In Dortmund ist man dagegen bereits von den Qualitäten des Lucas Barrios überzeugt. Dort hatte man den Argentinier zuvor schon länger beobachtet, bisher aber keinen Platz für ihn gehabt. Auch andere Vereine waren an der Verpflichtung des »Panthers« interessiert, so Klubs aus Russland sowie der AS Rom und Lazio. Der Transfer zur Hertha wurde im Frühjahr bei verschiedenen chilenischen Medien bereits als vollstreckt verkündet. Doch den Berlinern war das Risiko und der Preis letzten Endes zu hoch.


Ein Risiko besteht durchaus, es ist die erste Station von Barrios in Europa. Die Umstellung auf die schnellere Spielweise wird dauern. Unter Jürgen Klopp wird er zudem auch für die Defensive arbeiten müssen, davon war Barrios bei Colo Colo weitestgehend freigestellt. Beim ersten Training für den BVB hinterließ er mit drei Treffern aber gleich einen guten Eindruck. Kein Gerede vom Jet-Leg, von den langen Stunden im Flieger. Der Anfang ist gemacht.