Maracanazo war damals

27.06.2013 - Vor Ort beim Confed-Cup 2013

Fotos und Bericht vom Confed-Cup-Halbfinale Brasilien - Uruguay im Estádio Mineirão in Belo Horizonte (Minas Gerais).

von Christian Piarowski

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Brasilien - Uruguay. Da gab's doch mal was? Eines jener Spiele, mit denen man aufgewachsen ist, obwohl man mehrere Jahrzehnte dafür zu spät kam. Eines jener Spiele, denen jeder etwas Mytisches nachsagt, ohne je selber Zeuge gewesen zu sein. Ja, eines jener Spiele, das noch viele Generationen beschäftigen sollte. Das legendaäre Maracanazo (wie es die Urus nennen), bei dem die Celeste die über 170.000 Zuschauer im Maracana, die des WM-Triumphes ihrer Seleçao bereits so sicher waren, verstummen ließ. 2:1 gewann Uruguay im WM-Finale 1950. Es ist nicht gerade so, dass fussballerisch Welten zwischen beiden Teams lag, wie etwas beim Finale vier Jahre später.  

 

Traumatisches aus den 50ern

Dennoch gibt es Autoren, die meinen, in der brasiliansichen Bevölkerung nach dieser Niederlage ein Trauma ausfindig gemacht zu haben. Ja, der brasilianische Torwart Barbosa musste jahrzehntelang unter dieser Niedelrage, sahen viele doch in ihm den Hauptschuldigen. Unendliche Dramatik also, mit Jahrzehnte währenden Nachwehen. Natürlich wurde all das wenige Tage vor dem Halbfinale in der Presse wieder hervor gewühlt. Schließlich hatte es seit damals keine Gelegenheit mehr gegeben, bei der beide Teams bei einem offiziellen FIFA-Turnier in Brasilien aufeinander treffen konnten. Wartete nun das nächste Trauma auf die brasilianischen Fußballfans?

 

Dramatik und Anspannung gab es vor dem Spiel in der Tat auf den Straßen Belo Horizontes. Seit Beginn des Confed-Cups fanden in den Großstädten Brasiliens Demonstrationen statt, die teilweise gewaltätig mit Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten endeten. Auslöser war die Erhöhung der Ticketpreise für öffentliche Verkehrsmittel in Rio gewesen. Dort begannen auch die Proteste und weiteten sich von dort über das ganze Land aus. Die Preiserhöhung war dabei nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Zuvor bereits hatte sich viel Unmut angestaut, was dann alles kurzerhand zusammengefasst wurde. So richtete sich die Protestbewegung allmählich gegen alles, was irgendwie schief lief im Lande. Und das war so einiges: Korruption, Geldverschwendung, hohe Steuern, teures Bildungs- undGesundheitssystem. Gerade letzter Punkt gewann zunehmend an Bedeutung in der Agenda.

 

Dramatisches aus der aktuellen Zeit

In Brasilien ist das öffentliche Bildungs- und Gesundheitssystem teuer, während die Einrichtungen sich häufig im schlechten Zustand befinden, d.h. die Gebäude sind baufällig oder benötigte Gerätschaften oder gar nicht erst vorhanden. Das alles, obwohl Brasilien in den letzten Jahren als Wirtschaftswunder galt und viel Geld in die staatlichen Kasssen floss. Geld, das nach Meinung der Demonstranten nicht sinnvoll reinvestiert, sondern bei Prestigeprojekten verschwendet wurde. Solche Prestigprojekte wie die Fußballweltmeisterschaft 2014 oder die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016. Es wurden Summen publik, die im Gesundheitssystem fehlten, und die kontrastierten mit den Ausgaben für die teuren Neubauten oder Modernisierungen der WM-Stadien. War die überwiegende Mehrheit der Brasilianer noch ein Jahr zuvor voller Stolz und Vorfreude auf die beiden Großveranstaltungen, hatte sich das Meinungsbild nun verändert. Zumindest bei einem Teil der Bevölkerung.

 

Dieser sammelte sich im Zentrum der Stadt wenige Stunden vor dem Anpfiff. Es sollte eine Demo geben. Allerdings sollte laut Demoveranstalter die Copa nicht gestört werden. Dies war nämlich in der Vorrunde passiert, als in mehreren Austragungsorten an Spieltagen versucht wurde, den Ablauf der Fifa-Veranstaltung zu stören, in dem Zufahrtswege blockiert und die Sicherheitsbereiche der Fifa-Zonen zum Teil attakiert wurden. Ausländische Medien, die aufgrund des Fußball-Events vor Ort waren, übernahmen Bilder der Demos in ihre Reportagen. Allerdings blieben ihre Berichterstattungen ebenso konfus, wie die Demos nun mal waren.

 

Demos während des Confed-Cups

In Brasilien ist die Demonstrationskultur, anders als in Argentinien, erst im Entstehen. Demonstrationen sind für den Großteil der Bevökerung etwas völlig Ungewohntes, schließlich ist es erst keine 30 Jahre her, dass die Militärdiktatur zu Ende ging. Seitdem wurden lange Zeit Demonstranten belächelt wie Verrückte. Doch dies ändert sich allmählich, das politische Bewusstsein wächst. Doch wie alles, was wächst, geht das nicht sofort reibungslos. Auf den Demos gab es Gruppen, meist vermummte Jugendliche, die gezielt auf Krawalle aus waren. Den Organisatoren fiel es zum Teil schwer, ihre Ziele klar zu vermitteln oder waren sich ihrer uneins. Die Polizei, für die die Situtation ebenfalls in diesem Ausmaß neu war, reagierte anfangs mit überzogener Härte, so wie ihr beigebracht worden war für die Einsätze in den Favelas. Bilder von Gewalt gingen um die Welt, und es entstand der Eindruck eines Brasiliens, das sich gewaltsam gegen Fifa und WM erhoben hat.

 

Doch die Mehrheit der Demonstranten war gar nicht ausrücklich, und schon gar nicht ausschließlich gegen WM oder Confed-Cup, sondern gegen die Form der Verschwendung und Korruption im Allgemeinen. Auch waren viele bei den Demos aus reiner Neugier und romantischen Vorstellungen vom Revoluzzer-Dasein (es gas viele Demonstranten aus der Mittelklasse und Oberschicht, denen die Tariferhöhung nebensächlich war). Und es gab einen sehr großen Teil der Bevökerung, denen die Demos völlig am Arsch vorbeigingen.

 

Party im Stadion

Und dieser Teil vergnügte sich innerhalb der Fifa-Zonen. Dies war in Belo Horizonte ein weitläufig um das Stadion Mineirão abgesperrter Bereich, in dem man nur mit Eintrittskarte und nach Kontrollen gelangte. So hieß es. Auch sollte man dort früh hin, da ein Teil der Demonstranten doch vorhabe, die Zufahrtswege zu blockieren. Es gab vom Zentrum aus Busse, die man als Ticketinhaber kostenlos benutzten konnte, und die einen direkt bis in die Fifa-Zone hinein brachten. Von Kontrolle keine Spur.

 

Um das Stadion herum gibt es eine ruhige Wohnsiedlung, die nun von der Fifa mit Zäunen umstellt worden war. Überraschenderweise hatten Restaurants und Kioske auf und durften Alkohol verkaufen, wie sie wollten. Das sollte anders sein, und soll auch zur WM anders werden. Vor dem Halbfinale jedoch machte gefühlt jeder Stadionbesucher ausgiebig von dieser Möglichkeit Gebrauch. Selbst direkt gegenüber des Stadioneingangs konnte man an der Tanke nachkaufen, ohne erhöhte Preise. Es herrschte demzufolge gute Stimmung im Stadionbereich, da wohl kaum einer der Brasilianer ohne Bier tanken ins Stadion kam. Dort ging es dann weiter, denn es gab zwar Budweiser-Becher aber brasilianisches Bier, ebenfalls zu annehmbaren Preisen.

 

Kurz: Es herrschte vor dem Anpfiff eine ausgelassene Stimmung im Rund. Nichts war von Anspannung bezüglich eines Traumas zu spüren. Dazu ist den Brasilianern der Confed-Cup vielleicht auch nicht zu wichtig genug. Nichts war zu spüren von politischen Demonstrationen. Es herrschte eine reine Feierstimmung. Das ganze Stadion war überwiegend in Gelb gekommen, ein paar Himmelblaue hatten sich ebenfallls verirrt und konnten ohne Probleme Fahnen aufhängen und singen, gingen aber unter. Nach der Hymne Uruguays gab es Applause von den Brasilianern, ansonsten waren die Zuschauer beschäftigt mit Bier holen, Pinkeln gehen, und hin und wieder föhlich singen. Selbst der Ausgleich konnte kaum etwas ändern, an der insgesamt entspannten, fröhlichen Stimmung, welche nach dem späten Siegtreffer natürlich noch gesteigert wurde.

 

Ein entspanntes Fussball-Event, wie es sich die Fifa wünscht

Ein entspanntes Fussball-Event, wie es sich die Fifa wünscht, dem aber von den Brasilianern ein eigener Charakter verliehen wurde, der durchaus seinen Reiz hatte.

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Brasilien 2:1 Uruguay, Estádio Mineirão, Belo Horizonte (Minas Gerais), Mittwoch, 26.06.2013, 16:00, Halbfinale Confed-Cup 2013