Triumph der Rattenstecher

16.07.2009 - Estudiantes gewinnt die Copa

Der argentinische Fußballklub Estudiantes hat am Mittwoch das Finalrückspiel der Copa Libertadores bei Cruzeiro Belo Horizonte mit 2:1 (0:0) gewonnen.

von Christian Piarowski

  • Text
  • Ähnliches

Der argentinische Fußballklub Estudiantes hat am Mittwoch das Finalrückspiel der Copa Libertadores bei Cruzeiro Belo Horizonte mit 2:1 (0:0) gewonnen. Der Verein aus La Plata sicherte sich dadurch zum vierten Mal den Titel des wichtigsten internationalen Vereinswettbewerbs in Südamerika. Vor der Saison hatten nur wenige Experten den Klub auf der Rechnung gehabt. Wie kam dieser Finalsieg zustande?

 

Spieler und Fans von Estudiantes werden in Argentinien auch »pincharratas«, die Rattenstecher, genannt. Der Spitzname rührt nicht etwa von der Spielweise des Teams her, die oft wenig ansehnlich und vor allem pragmatisch ausgerichtet ist, sondern geht auf die Gründungsgeschichte zurück. Unter den Gründungsmitgliedern, des 1905 gegründeten Vereins, befanden sich überwiegend Studenten. Da diese in der Universität häufig Ratten sezieren mussten, wurden sie bald »pincharratas« genannt. Eine andere Version besagt, dass die frühen Trainingsplätze von Ratten verseucht gewesen sein sollten.

Platzprobleme gab es auch beim Finalhinspiel in La Plata. Ein Wasserrohrbruch sorgte in der 2. Halbzeit dafür, dass sich in der Nähe eines Tores große Wasserlachen bildeten. Die Pfützen waren aber nicht der Grund, dass das Spiel nach viel Kampf und Krampf mit 0:0 endete. Estudiantes konnte mit einer harmlosen Offensive die Brasilianer einfach nicht genügend unter Druck setzen.

Mit diesem Hinspielresultat ging der dreimalige Copa-Libertadores-Gewinner Cruzeiro als Favorit in das Spiel. Die Tickets für die Partie waren innerhalb weniger Stunden komplett vergriffen. 60.000 Fans wollten Cruzeiro zum Titelgewinn pushen, zwischen ihnen verloren sich die 4.000 Gästefans. Die Medien in Argentinien betitelten das Stadion Mineirao vorsorglich als verhext. In 35 Spielen konnten argentinische Teams erst zwei Siege davontragen; Velez 1996 und Boca Juniors 2008.

Nach den 90 Minuten bot sich den Zuschauern jedoch ein Bild, das nur die wenigsten im Stadion erwartet haben dürften. Mitten auf dem Platz kniete ein glatzköpfiger Argentinier, küsste den Rasen, weinte dicke Tränen und gab auch noch der Trophäe einen Kuss, bevor er sie in den Himmel regte. Der Knutscher heisst Juan Sebastian Veron und ist nicht nur Kapitän sowie Idol von Estudiantes, sondern auch leidenschaftlicher Fan des Vereins. Normalerweise trägt er einen Gesichtsausdruck zur Schau, der kleine Kinder zum Weinen bringt. Seine Interviews führt der ehemalige Spieler von europäischen Spitzenklubs wie Manchester United, Chelsea und Inter Mailand im gleichen Stil, wie er Fußball spielt: kompromisslos, direkt, mit viel Härte und gelegentlich mit genialen Einfällen.

Es ist bereits der vierzehnte Titelgewinn in der Karriere Verons, doch selten sah man ihn derart emotional. Sein Wunsch sei es, ein Finale zu spielen, wie es sein Vater getan habe, gestand Veron vor dem Abflug nach Brasilien. Juan Ramon Veron, in La Plata bekannt als »la bruja«, die Hexe, hatte entscheidenden Anteil an den drei Copa Libertadores-Titeln, die Estudiantes von 1968 bis 1970 in Folge gewann. Seitdem schaffte es der Klub nicht einmal mehr ins Finale.

Juan Sebastian, in Anspielung an den Vater "la brujita", das Hexlein, genannt, sollte seinen Worten Taten folgen lassen. Er war der Mann des Spiels. Nach dem Führungstreffer für Cruzeiro durch Henrique (52.) leitete Veron mit einem sehenswerten Pass auf Cellay den Ausgleichstreffer durch Gaston Fernandez (56.) ein. Den zweiten Treffer durch Boselli (73.) legte er mit einem gefühlvollen Eckball direkt auf. Von Beginn an sorgte Veron zudem mit harten Zweikämpfen für Respekt beim Gegner und rüttelte sein Team in entscheidenden Phasen lautstark wach.

Der Erfolg lässt sich jedoch nicht allein an Veron festmachen. Neben dem Kapitän bilden Torwart Andujar sowie die Stürmer Calderon und Boselli die Säulen des Teams. Letzterer wurde mit acht Treffern der Top-Torjäger des gesamten Turniers. In der argentinischen 1. Liga landete Estudiantes in der abgelaufenen Meisterschaft auf Rang 6 mit 11 Punkten Rückstand auf den Meister Velez Sarsfield.
Die Spiele waren dabei meist geprägt von Kampf, nur selten wurden spielerische Glanzlichter gesetzt. Mit viel Kampf und Moral wurde auch der Weg ins Finale der Copa Libertadores geebnet. Dass letztlich der große Wurf gelang, liegt aber vor allem an der Verschworenheit und der guten Stimmung im Team. Häufig treffen sich die Spieler auch privat im vereinseigenen Country-Club.
 


Die »pincharratas« stellten im Turnierverlauf gleich zwei Rekorde aufgestellt. Estudiantes ist der erste Titelgewinner in der Geschichte der Copa, der zunächst in der Qualifikationsrunde antreten musste. In der anschließenden Gruppenphase, wo unter anderem Cruzeiro wartete, hätte Huub Stevens seine wahre Freude gehabt. Die Null stand, auswärts vorne und daheim hinten. Estudiantes kam als Gruppenzweiter weiter.

Die exzellente Abwehrarbeit ist als weiteres Element im Erfolgskonzept von Trainer zu nennen. Torwart Mariano Andujar konnte seinen Kasten ganze 800 Minuten sauber halten, was ebenfalls einen neuen Rekord in der Copa-Geschichte bedeutete. Zudem spielte Estudiantes zuhause in sämtlichen Partien des Turniers zu null.

Während sportliche Hürden in den Finalrunden souverän gemeistert wurden, kam es im Umfeld des Vereins dagegen zu negativen Begleiterscheinungen. Als Estudiantes im Halbfinale auf Nacional Montevideo traf, konnten sich beide Vereine nicht auf ein Kartenkontingent für Gästefans einigen, weshalb beide Partien ausschließlich vor heimischem Publikum ausgetragen wurden. Dass dies nicht unbedingt die Sicherheit im Stadion erhöht, bewiesen Estudiantes-Fans äußerst eindrucksvoll. Beim Hinspiel in La Plata marschierte mitten in der 1. Halbzeit eine 10-köpfige Gruppe aus der Nordkurve, wo die »barra brava« (gewaltbereite Fans), steht, ungestört in die Südkurve, verprügelte dort einen Zuschauer und ließ ihn mit einer Schusswunde verletzt zurück. Das störte weder die Polizei vor Ort noch den südamerikanischen Fußballverband CONMEBOL. Der Vorfall wurde schnell heruntergespielt, ohne dass es zu einer Bestrafung kam.

Ungemach droht Estudiantes nach dem Titelgewinn dennoch. Ähnlich wie bei Vorjahressieger L.D.U. Quito steht der Ausverkauf des Teams bevor. Torwart Andujar wurde bereits von Catania verpflichtet. Aber das ist Zukunftsmusik, und die will derzeit niemand hören. In La Plata wurde nach dem Abpfiff durchgefeiert. Am Donnerstag bereiteten die tausende Fans dem Team am internationalen Flughafen Ezeiza von Buenos Aires einen begeisterten Empfang und eskortierten anschließend die Mannschaft ins 60km südlich gelegene La Plata, wo die Party weiterging. In den Jubelgesängen war dabei vor allem ein Wort zu hören, Veron. Nach Aussage von Estudiantes-Coach Sabella definitiv der wichtigste Name in der Geschichte von Estudiantes.