Clásico daheim: Independiente Rivadavia - Gimnasia (M)

23.02.2022 - Copa Argentina

Nach vielen Jahren gab es wieder das Clásico mendocino mit beiden Fanszenen im Stadion

von Christian Piarowski

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Die Copa Argentina ist für viele europäische Fußballliebhaber vermutlich einer der rätselhaftesten Vereinswettbewerbe im argentinischen Fußball. Seit der Wiederauflage im Jahre 2011 nach über vierzigjähriger Pause (ganze zwei Saisons lang hatte es damals diesen Wettbewerb gegeben), sind bereits zahlreiche ausländische Groundhopper an Spielplangestaltungen, kurzfristigen Änderungen der Spielorte, ja, allein an deren Festlegung verzweifelt.

 

Wieso spielt Arsenal aus Sarandí gegen Olimpia de Bahía Blanca in Santa Fe? Wieso kann Vélez aus dem Hauptstadtviertel Liniers quasi mit dem Vorortszug ins Stadion von Lanús anreisen, während der Kontrahent aus dem patagonischem Cipolletti mal eben allein für die Hinfahrt über 1.100 Kilometer zurücklegen muss? Muss ja ein ganz besonderer Spaß für die Fans des Drittligisten gewesen sein, die ihren Verein beim Duell gegen den Erstligisten begleiteten wollten; vor allem unter der Woche. Ja, und wann überhaupt erfährt man die Terminierung? Wieso werden komplette Spielrunden über mehrere Monate verteilt? Wie kann es sein, dass manche Vereine schon in der nächsten Runde aktiv sind, während die vorherige noch gar nicht abgeschlossen ist?

 

Fragen über Fragen, auf die es nur eine  und einzige Antwort gibt. Die Copa Argentina ist ein Geschäft, und zwar ein sehr einträgliches, vor allem für die Medien- & Event-Firma „Torneos“, die den Wettbewerb de facto organisiert. Sinnbildlich dafür sind die obligatorischen Fotos nach jedem Spiel, bei denen die Siegermannschaften freudestrahlend einen Riesencheck in die Kamera halten. Ist das in der heutigen Zeit, wo nahezu überall der Profifußball vorwiegend Business ist, überhaupt noch zu kritisieren? In Argentinien jedenfalls gibt es keine größeren Diskussionen über Format und Art der Durchführung des Pokals. Auch kleinere Vereine hört man nur selten aufmucken, schließlich gibt es verhältnismäßig viel Kohle fürs Antreten inklusive Spesen. Da kann man auch mal das sonst ach so wichtige Clásico kurzerhand ausfallen lassen, wenn das große River Plate über Nacht nach einer Spielverlegung schreit, wie 2019 geschehen beim Spiel River vs Sarmiento aus Resistencia.

 

All das hat mit Sicherheit wenig mit einer mangelnden Kritikfreudigkeit bei argentinischen Fußballfans zu tun, viel mehr damit, dass der Wettbewerb noch immer erst dabei ist, breiten sportlichen Wert und Anerkennung zu finden. Schließlich hat der Vereinspokal in Argentinien keine Tradition, die zwei Austragungen 1969 und 1970 hatten selbst viele Kenner nicht mehr auf dem Schirm, als es 2011 in die Neuauflage ging. Niemand gab dem „neuen“ Wettbewerb allzu lange Überlebenschancen. Er galt zunächst als nächste verrückte Idee des alternden Verbandspatrons Julio Grondona (mittlerweile verstorben), ähnlich wie die völlig maßlose Aufblähung der 1. Liga auf zeitweise 30 Vereine. Don Julio kam mit dem Totschlagargument, dass es in Europa auch Pokalwettbewerbe gäbe und versprach Zweiflern wie Jüngern ein Turnier so glanzvoll wie die Copa del Rey in Spanien. Um gerade für die großen Vereine einen sportlichen Anreiz zu schaffen, wurde für den Gewinner der Copa ein internationaler Startplatz ausgelobt.

 


Mittlerweile ist über ein Jahrzehnt verstrichen, und die Copa Argentina gibt es immer noch. Viel mit der Copa del Rey hat sie zwar auch weiterhin nicht gemein, doch hat sie an Stellenwert in der Fußballgemeinde deutlich hinzugewonnen, was man allein daran erkennt, dass es nun doch häufiger Diskussionen über wirklich „neutrale Grounds“ gibt. Zusätzlich (medial) angefacht zudem durch das im Dauerduell zwischen Boca und River (Wer hat die meisten Titel, wer die längste Erfolgsserie?), wodurch zuletzt jedes noch so kleines neu erfundene „Copachen“ als enorme Erfolge gefeiert werden und nicht mehr nur wie früher allein der Gewinn der Libertadores und bestenfalls der Meisterschaft zählt.
Früher war eh alles besser.

 


Und genau, da bringt die Copa Argentina etwas aus alten Zeiten mit, nämlich Spiele wie früher mit beiden Fanlagern, mit beiden Hinchadas im Stadion. Es gibt zwar auch unter gewissen Umständen im Ligabetrieb die Möglichkeit, mit Gästen (oder wenigstens „Neutralen“) zu spielen, doch schon mal nicht in der Hautstadt und nur mit langwierigen Anträgen und natürlich Extra-Kosten für die Polizei. Daran haben die wenigsten großen Vereine Interesse, da sie ja ihre ehemaligen Gästekurven mit eigenen Fans füllen (siehe andere Artikel).


Doch in der Copa Argentina ist das Teil des Event-Spektakels. Und das funktioniert. Dadurch ergibt sich auch der Sinn, warum River und Laferrere gefühlte zwei Kontinente entfernt in Salta spielen, auch wenn beide aus Buenos Aires bzw. dessen Umland kommen. River (genau wie Boca und ab da fällt es stark ab) hat viele, viele Fans im ganzen Land, für die das einfach „genial“ ist, mal ihr Team zu sehen, da sonst ein „Heimspiel“ mitunter 3000 Kilometer (Hin und Rück) bedeuten würde… Und für die Chicos von „Lafe“ ist das einne einmalige Sache (Spiel des Jahrzehnt), wo sie mit allein wegen der allen bekannten Reisestrapazen sich damit nachweislich auch auf die Landkarte selbst jener Berichterstatter bringen können, die sonst vor laufender Kamera lediglich so tun, als würden sie den argentinischen Fußball kennen.

Aber was passiert, wenn ein Clásico aus dem Interior, aus dem „Inland“ (alles außerhalb von Buenos Aires) ausgelost wird? Nun ja, raus aus der Provinz, neutraler Ground und so. Doch eben da hat ein Umdenken im Stellenwert (und dementsprechend seiner Repräsentationsmöglichkeiten) stattgefunden, und plötzlich schalteten sich nicht nur beide Traditionsvereine und aktuelle Zweiligisten (d.h. in Argentinien für Provinzvereine: unter ferner liefen) aus Mendoza, sondern auch die Stadt und Provinz ein im unisono Motto: wie absurd wäre es, DAS Clásico der Stadt Mendoza in der ohnehin nicht so beliebten Nachbarprovinz San Juan und deren für Copa Argentina-Spiele gerne verwendeten Capital austragen zu lassen?



Sie sollten es schaffen, die Austragung in Mendoza wurde genehmigt, mit beiden Hinchadas, etwas, das es seit 15 Jahren nicht gegen hatte. Natürlich stieg das Ganze im großen Stadion aus der Zeit der 78er-WM stammenden Estadio Malvinas Argentinas, das aber in wenigen Gehminuten von den Heimspielstätten beider Vereine liegt, weshalb das Derby auch gerne den Namen „El Clásico del Parque“ erhält. Denn sowohl Gimnasia als auch Independiente Rivadavia haben ihre Stadien im großen Stadtpark liegen.


Bei der Copa Argentina sind zwar beide Fanszenen erlaubt, aber nicht eine volle Auslastung der jeweiligen Stadionkapazität, damit genug Puffer zwischen beiden Seiten gelassen werden kann. Gerne werden so beispielsweise nur die Steher hinter den Toren verkauft oder lediglich ein kleiner Teil der Plateas. Diesmal gingen in den Verkauf sowohl Steher (Populares) als auch Plateas (Sitzplätze), ohne genaue Angaben, wie viele Tickets insgesamt im Angebot waren. Es sollte nicht ausverkauft werden, in keinem der Bereiche. Der Verkauf lief jeweils an den Ticketschaltern der Heimstadien beider Vereine, und leider nur bis 14:00 Uhr am Spieltag, sodass kurzfristig vom Clásico-Fieber angesteckte Fans ohne Tickets blieben. Insgesamt brachte Independiente Rivadavia deutlich mehr Fans ins Stadion, bei Gimnasia wies selbst die Popu einige Lücken auf. Das lag aber nicht einzig daran, dass die Barra Independientes sich bei einem Überfall auf die Ticketschalter fast 700 Karten „sicherte“.

 

Dieses numerische Übergewicht war dann auch bei der Wucht der Gesänge zu spüren, wobei der Spielverlauf sein Übriges tat. Dennoch sorgten beide Hinchadas für ein wirklich tolles Stadionerlebnis mit allen geliebten Zutaten, wie laute Gesänge, gegenseitiges Gedisse, etwas Pyro und so weiter.


Auf dem Feld spiegelte sich das Geschehen der Ränge: Independiente war insgesamt überlegen und trug in einem durchaus unterhaltsamen Spiel zurecht den, auch in der Höhe verdienten Sieg davon.
Man kann von der Copa Argentina halten, was man will, aber für solche Stadionerlebnisse kann man froh sein, dass es sie gibt.

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Independiente Rivadavia 2:0 Gimnasia (M), Estadio Malvinas Argentinas, Mendoza (Prov. de Mendoza), Mittwoch, 23.02.2022, 22:10, 32-Finale Copa Argentina 2022 - Clásico mendocino

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