Führungslos: Central - Vélez
20.10.2007 - Primera A
Interne Konflikte der Barra von Central waren die Schlagzeilen vor der Partie des Canallas gegen Vélez. Fotos und Bericht.
von Christian Piarowski
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Das Estadio Dr. Lisandro de la Torre ist eigentlich besser bekannt als "El Gigante de Arroyito". Es wurde 1929 eingeweiht und zur WM 78 umgebaut. Es bietet Platz für 41.600 Zuschauer. Der 1889 gegründete Club Atlético Rosario Central ist einer der ältesten Vereine Argentiniens. Central erlebt zur Zeit eine der schwersten Stunden seiner Vereinsgeschichte. Der Klub unterliegt einer Untersuchung aufgrund undurchsichtiger Machenschaften seitens der Vereinsführung in den letzten Jahren. Sportlich läuft zudem nicht viel zusammen. Die Canallas sind Tabellenletzter der Apertura und konnten von 13 Partien lediglich eine gewinnen. Diese allerdings ausgerechnet im Stadion des Erzrivalen Newell`s Old Boys zur Neuauflage des Stadtderbys. Wie NOB liegt auch Central auf einem Platz, der am Saisonende zur Relegation gegen den Abstieg nötigen würde. Beide Vereine trennen in der Acumulada drei Punkte.
Doch damit nicht genug. Zu allem Überfluss ist die barra brava des Klubs (Los Guerreros) bereits seit Längerem hoffnungslos zerstritten. Für das Spiel waren Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Gruppierungen befürchtet worden. Die Vereinsführung hatte daher unter der Woche die regionale Polizei zu einer Versammlung gebeten, um ein spezielles Sicherheitskonzept herauszuarbeiten. Die polizeilichen Behörden hielten dies allerdings nicht für notwendig und ließen die Anfragen unbeantwortet. Wenige Stunden vor dem Spiel kam es nur zwei Blocks vom Stadion entfernt zu blutigen Kämpfen zwischen den Fan-Gruppen. Zwei Schwerverletzte und die gleiche Zahl an Festnahmen waren die Folge. Die Sicherheitskontrollen am Stadioneingang waren infolge dessen minutiös. Selbst die Schuhe mussten ausgezogen werden, und die Polizeibeamten zeigten sich hartgesotten genug, diese auch von Innen abzutasten. Trotz der sportlichen Misere und den drohenden Krawallen kamen etwa 25.000 Zuschauer ins Stadion. Die Guerreros wohnten der Partie jedoch nicht bei.
Das 1910 gegründete Vélez Sarsfield aus Buenos Aires erlebt dagegen unspektakuläre Zeiten. Seit dem La Volpe, der ehemalige Nationalcoach Mexicos, das Zepter schwingt, dümpelt der Verein schon die zweite Spielzeit im Mittelfeld. Ohne Abstiegssorgen zwar, aber auch ohne Ambitionen nach oben. Man sucht bereits einen Nachfolger für die Clausura. Auf fremden Plätzen hatte Vélez seit dem Auftaktsieg in Santa Fe gegen Colón nur Niederlagen kassiert. Die Auswärtsschwäche ist mit ein Grund für die unzufriedenstellende Tabellensituation. Knapp 400 Gästefans begleiteten ihren Verein dennoch nach Rosario.
Zum Intro flog ein wenig Papier von den Oberrängen der Haupttribüne herab. Das Fehlen der Guerreros machte sich schmerzlich bemerkbar. Die anwesenden Fans versuchten sich zwar an verschiedenen Gesänge, doch gestaltete sich der Support schwierig. Mal stimmte die eine Ecke des Blocks ein Lied an, dann die andere. Bis die eine Seite mitbekam, was die andere sang, waren dort die Gesänge bereits wieder eingestellt worden. Nur die einschlägig bekannten Lieder wurden einheitlich gesungen. Dann konnte es richtig laut werden, da auch Gegengerade und Haupttribüne mitmachten. Leider geschah dies allerdings nur wenige Male. Dennoch gab es in der ersten Halbzeit phasenweise recht gute Stimmung. Die Gästefans ließen Hin- und Wieder von sich hören und gönnten sich dann wieder ein Päuschen.
Auf dem Feld begann Central furios mit einem satten Lattenknaller nach einer Ecke. Danach wurde aber schnell deutlich, warum das Team auf dem letzten Tabellenplatz liegt. Central spielte ohne Konzept, rannte planlos an und Torraumszenen waren eher Zufallsprodukte. In der 20. Minute hatten die Canallas Glück, als nach einem schweren Abwehrfehler nun die Gäste das Aluminium prüften. Velez spielte abwartend, fast zögerlich, zeigte sich aber sattelfest in der Abwehr. Abgesehen von den Aluminiumtreffern für beide Teams gab es keine weiteren Höhepunkte vor dem Tor. Meist entstand Gefahr nur durch Standards. Ein wunderschön direkt verwandelter Freistoß war es auch, der die Führung für Vélez brachte (37.min.). Doch der Jubel hielt nicht lange an bei den Gästen. Nur eine Minute später waren sie nur noch Zehnt, nach einer dummen Roten Karten wegen einer Tätlichkeit auf Höhe der Seitenlinie.
In der 2. Halbzeit geschah eigentlich nicht viel, weder auf dem Platz noch auf den Rängen. Die Fans stellten über lange Phasen den Support ein. So ruhig erlebt man ein gut besetztes Stadion in Argentinien nur sehr selten. Stumme Ohnmacht und blankes Entsetzen in den Augen Jener, die heute auf eine Besserung Centrals gehofft hatten. Selbst die nummerische Überlegenheit wussten die Canallas nicht zu nutzen. Die Nerven lagen blank. Kily Gonzales, der Kapitän, flog bald nach Wiederanpfiff wegen Meckerns vom Platz. Er agierte die gesamte Partie mehr mit dem Mundwerk als mit den Füßen. Und so wie die Fans führungslos waren, war es nun das Team.
Wenige Minuten später folgte ihm ein weiterer Mitspieler in die Kabine. Jetzt hatte Vélez einen Mann mehr auf dem Platz. Das Team von La Volpe hätte mit etwas mehr Risiko einen höheren Sieg einfahren können. Doch der charismatische Coach ließ sein Team tief stehen, während sich vorne die einzige Spitze alleine aufrieb. Centrals Aktionen wirkten jetzt verzweifelt. Der einzige Spieler, der noch Leben zeigte, war der Torwart. Er trieb sein Team wild gestikulierend nach vorne. In der Nachspielzeit verlor er allerdings nach einer Ecke auf Höhe der Mittellinie den Ball an den einzigen Stürmer der Gäste. Dieser wurde für seine unermüdliche Laufbereitschaft nun nach einem letzten Sprint über das halbe Feld mit einem Tor belohnt. Danach hatte der Schiri endlich Erbarmen und pfiff die Partie ab. Eine traurige Vorstellung Centrals, die die Fans ohne Worte ließ. Dennoch gab es nach dem Spiel aufmunternden Applaus für die Spieler.
In Argentinien ist es üblich, dass erst nachdem die Gästefans das Stadion verlassen haben und sich in einiger Entfernung von diesem befinden die Heimzuschauer gehen dürfen. So sollen Aufeinandertreffen vermieden werden. Der Abmarsch der Vélez-Fans verlief friedlich und zügig. Als nur noch eine Handvoll von ihnen im Stadion war, knallten plötzlich Schüsse hinter der Gästetribüne: die Polizei setzte (mal wieder) zahlreiche Gummigeschosse ein. Was vorgefallen war, konnte ich nicht herausfinden. Aber es mehren sich die Vorwürfe, dass die Polizei, vor allem in Rosario, in letzter Zeit vorschnell und überhart gegen die Fans vorgeht.
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Rosario Central 0:2 Vélez Sarsfield, Estadio Gigante de Arroyito, Rosario, 14. Spltg. Apertura 2007, 20.10.2007
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