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02.12.2009 - Barra Bravas als Wahlkampfhelfer
In argentinischen Stadien ist Gewalt derzeit ein Problem. Eine Gruppe von Hooligans hat sich nun zusammengeschlossen, um gegen sie vorzugehen – doch dahinter steckt mehr.
von Christian Piarowski
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243 Tote! Dies ist die erschütternde Anzahl an Opfer von Gewalttaten, die es in den vergangenen 75 Jahren im argentinischen Fußball zu beklagen gab. Die Mehrheit von ihnen kam bei Streitigkeiten zwischen und innerhalb der so genannten »barra bravas« ums Leben. Der Begriff »barra brava« bezeichnet die organisierten, zumeist gewaltbereiten Fans.
Mehrere dieser »barra bravas« aus unterschiedlichen Vereinen der 1. und 2. Liga haben sich nun zusammengeschlossen, um eine eingetragene Nichtregierungsorganisation zu gründen. Das Bündnis mit dem Namen »Hinchadas Unidas Argentinas« (HUA - Vereinte Fangruppen Argentiniens), hat es sich nach einem offiziellen Kommuniqué auf die Fahnen geschrieben, genau das zu bekämpfen, was für viele ihrer Mitglieder bis vor kurzem noch ein einträgliches Geschäft war: die Gewalt in den Stadien.
Es geht um Macht und Geld
Denn den »barras« geht es bei den von ihnen verübten Gewaltdelikten nicht allein um das barbarische Ritual zu zeigen, wer der Stärkere ist, sondern auch um viel Geld, das in diesen Fangruppen bewegt wird. Dieses stammt neben Einnahmen aus undurchsichtigen Geschäften oft direkt von den Vereinen. So erhalten »barras« von den Klubs Posten im Sicherheitsdienst oder umfangreiche Kontingente an Eintrittskarten, die sie dann unbehelligt auf dem Schwarzmarkt direkt vor dem Stadion verkaufen. Die »barra« von Independiente hat sogar einen eigenen Getränkestand im Stadion.
Diese Kooperation von Vereinsseite geschieht nicht immer freiwillig, häufig werden die Klubvorstände, ja sogar Spieler, schlichtweg erpresst. Die Einnahmen werden nicht gleichmäßig verteilt, wie überall gilt auch innerhalb einer »barra«: je höher der Rang desto größer der Verdienst. Kein Wunder also, dass die Führerschaft hart umkämpft ist. Regelmäßig kommt es daher zu internen Streitigkeiten, die nicht selten blutig ausgetragen werden. Frei nach dem Gesetz »der Stärkere überlebt«.
Dass die »barras« nahezu frei agieren können, verwundert in Argentinien niemanden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sie Verbindungen zu einflussreichen Kreisen aus Politik und Justiz pflegen. Nur wenig überraschend ist es daher, dass in der Vergangenheit viele ihrer Verbrechen nicht aufgeklärt wurden. Zwar ist die Justiz in der jüngsten Zeit aktiver geworden, und einige ehemalige Anführer sitzen hinter Gitter oder wurden mit Stadionverboten belegt. Doch geändert hat sich an der Gesamtsituation wenig. Weiterhin kommt es regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen, das Geschäft ist einfach zu lukrativ. So findet sich immer jemand, der die entstandenen Lücken schließt.
Hooligans als Sozialarbeiter
Angesichts dessen überrascht der plötzliche Sinneswandel innerhalb der »barra bravas«. Sollten die hart gesottenen Jungs plötzlich weich geworden sein und nur noch für das Gute eintreten wollen? Werden die Muskelprotze bald als Sozialarbeiter, Rentnern das Essen nach Hause bringen? Wohl kaum. Die HUA lockt die »barra«-Anführer mit dem Versprechen, ihnen ein Reisepaket für die WM 2010 in Südafrika zu schnüren – all inclusive, mit Flug, Unterkunft und Eintrittskarten. Als Gegenleistung sollen sie in den nächsten Monaten »ihre Jungs« ruhig halten. Und ganz nebenbei noch in den Kurven Banner präsentieren, auf denen der Namenszug der HUA und ein Symbol mit einem K über einem V zu sehen sind. Eine politische Botschaft und das eigentliche Ziel der Gründer.
Das K/V-Symbol ist angelehnt an ein Graffiti, das zu Beginn der 70er-Jahre auf Mauern und Fassaden der argentinischen Hauptstadt zu finden war. Geschrieben wurde es von Anhängern des populistischen, ins Exil getriebenen Staatspräsidenten Juan Domingo Peron. V/P stand dabei für »Peron Vuelve!«, »Peron kommt zurück!« Nun soll K zurückkommen, und bei K handelt sich um niemand Anderen als den Ex-Präsidenten Nestor Kirchner (2003-07). Dabei befindet sich Kirchner nicht im Exil, seine Gattin Cristina hat derzeit sogar das Präsidentenamt inne. Doch der Kirchner-Clan bangt nach erdrutschartigen Popularitätsverlusten um den Sieg im Wahljahr 2011, bei der Nestor Kirchner kandidieren wird.
Fußball als Propagandamittel
Um sich bis dahin den verlorenen Kredit bei der Bevölkerung zurückzuholen, ist ihm und seiner Gattin jedes Mittel recht. So hat sich die aktuelle Regierung unter Führung der Kirchners zu Saisonbeginn unter dem Motto »Fußball für alle« die Rechte an den Fußballübertragungen gesichert. Schaute man an den ersten Spieltagen Partien auf dem staatseigenen Sender »Canal 7«, so wurde man alle 15 Minuten darüber informiert, wie angestrengt im Regierungspalast für das Wohl des Volkes gearbeitet wird. Und ganz nebenbei wurde daran erinnert, dass es der Regierung zu verdanken sei, dass endlich alle Fans Live-Fußball frei empfangbar sehen können und nicht wie zuvor nur im teuren Pay-TV. Damit die Propaganda häufiger zu sehen ist, wurden die Spielrunden ausgedehnt auf vier Sendetage. Statt von Freitag bis Sonntag gibt es nun auch montags Erstligafußball, kein Spiel findet mehr zeitgleich statt. Wer sie sehen will, kommt an der indirekten Wahlwerbung kaum vorbei.
Doch dummerweise gibt es auch Menschen, die zu den Spielen gar nicht vor dem Fernseher sitzen, sondern ins Stadion gehen. Auch sie werden fortan mit Wahlwerbung beglückt – und zwar direkt aus der Kurve. Dort tauchen seit einigen Spieltagen bei verschiedenen Klubs die besagten Banner mit dem K/V-Symbol auf und zwar mitten im Zentrum der Stehplatzblöcke.
Auf Wählerfang
Geht es nach dem HUA-Mitbegründer Marcelo Mallo, sollen die Spruchbänder auch bei der WM 2010 zu sehen sein. Mallo gilt als militanter Vertreter des Kirchnerismus, seine Strafakte ist genauso lang wie die seiner HUA-Rekruten. Dass er die »barras« für Propagandazwecke ködert, gibt er unumwunden zu. »Warum sollten wir die Fangruppen nicht in ein politisches Werkzeug verwandeln. Andere haben Geld, wir haben die Kraft die Massen zu bewegen.«, äußerte er sich gleich in mehreren Medien. Seiner Meinung nach sind die »barras« mit ihrem Mobilisierungspotential bestens geeignet, in den sozial schwachen Stadtvierteln auf Wählerfang zu gehen oder dort sogar als Wahlhelfer aktiv zu sein. Ausmaß und Offenheit, mit denen Mallo sich in der Presse äußerte, waren ungewöhnlich. Offenbar schien er sich aufgrund starker Hintermänner sicher zu fühlen.
Die Reaktionen auf seine Aussagen ließen nicht lange auf sich warten. Die Opposition prangerte die Verstrickungen zwischen HUA und den Kirchners an und warnte eindringlich, dass dies eine Gewaltwelle auslösen könnte. Denn diejenigen, die nicht dazugehören, werden ebenfalls ihren Teil vom Kuchen ab haben wollen.
Nachdem es dann vor knapp zwei Wochen gleich bei drei Spielen zu Randalen kam, äußerte sich erstmals auch ein Regierungsvertreter und wies daraufhin, dass die HUA eine Privatinitiative und nicht ein Projekt der Regierung sei. Diese werde auf keinen Fall Gewalttätern eine Reise zur WM spendieren. Auch Mallo schlug umgehend leisere Töne an, ganz so, als habe er dazu Anweisung erhalten. Nun bestreitet er, dass die HUA von der Regierung finanziell unterstützt werde. Dennoch seien die ausgelobten Reisen gesichert, mit Einnahmen aus der eigenen Firma und durch Benefiz-Veranstaltungen.
All-Inclusive nach Südafrika
Unabhängig davon, wer nun tatsächlich für die Finanzierung aufkommt, die Werbung für die Kirchners wird weiterhin in den Stadien zu sehen sein. Dass die »barras« mit den Bannern schlicht ihre eigene politische Meinung ausdrücken, glaubt niemand. Vermutlich würden sie auch Insignien der Opposition hoch halten, sollte diese Luxusreisen zum Kap der Guten Hoffnung anbieten. Das ist auch daran ersichtlich, dass in der HUA Vertreter der beiden mächtigsten »barra bravas« des Landes fehlen. River Plates »Los Borrachos del Tablon« und Bocas »La 12« sind nämlich in der Lage ihre Reise nach Südafrika eigenständig zu finanzieren. »La 12« etwa scheffelt unter anderem Geld, indem sie teure Tickets Touristen anbietet, welche dann inklusive Geleitschutz mitten drin sein dürfen im Block der berüchtigten »barra« Bocas. Es besteht somit kein Grund, sich für die WM-Reise externen Geldgeber zu verpflichten.
Die HUA ist allen Indizien nach also keineswegs eine Nichtregierungsorganisation mit sozialem Engagement, wie es ihre Gründer behaupten, sondern eine Wahlkampfmaschine des Kirchner-Klans. Dabei wäre eine derartige Organisation, die die Misstände bei den Wurzel bekämpft, durchaus zu begrüßen.
Doch solange sich potente Geldgeber finden, die mit den »barra bravas« kooperieren, wird die Gewalt in Argentiniens Stadien weiterhin ein Problem sein und Bilder von Ausschreitungen werden die postivien Eindrücke von phantasievollen Choreographien und lautstarken Gesängen überdecken. Wie weit es mit der propagierten Einheit zwischen den Fangruppen her ist, wird sich dann spätestens nach der WM zeigen.