Argentinos Campeón!

21.05.2010 - La Paternal Campeón!

Vor einigen Tagen ging in Argentinien die Meisterschaft zu Ende. Ein Vierteljahrhundert hat es gedauert, bis die Fans der Argentinos Juniors wieder eine Meisterschaft bejubeln durften.

von Christian Piarowski

  • Text
  • Bilder
  • Ähnliches

Samstagnachmittag im barrio „La Paternal“. In dem Viertel, in das bislang nur vereinzelt Appartementtürme vorgedrungen sind und noch die flachen, verwinkelten Häuser im „chorizo“-Stil dominieren, sind kaum Menschen auf der Straße anzutreffen. Herbstlaub raschelt unter den Füßen, ab und an poltert ein klappriges Fahrzeug über das Kopfsteinpflaster. Nur auf der Avenida San Martin, der Lebensader herrscht Betrieb.

 

Keine 24 Stunden bevor die Argentinos Juniors nach einem Vierteljahrhundert zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte nach dem Meistertitel greifen, ist in der Heimat des Clubs von dem bevorstehenden Ereignis nur wenig zu spüren. Am Stadion Diego Armando Maradona steht ein vereinsamter Fahnenverkäufer. Zettel verkünden, dass das Kartenkontingent von 11.500 für das alles entscheidende Auswärtsspiel restlos vergriffen sind. Nur drei Blocks davon entfernt verkauft Willy mit einem Grill und ein paar Plastikstühlen improvisierten Stand Choripan und Steaks. Aufgewachsen in La Boca und eigentlich Fan von River Plate lebt er seit gerade einmal zwei Jahren in La Paternal. Zu den Heimspielen des Bicho hat es ihn bislang nur ein einziges Mal verschlagen, wegen der Freunde. Doch für das Finalspiel hat er extra die Nacht vor dem Kassenständen campiert, um eines der letzten Tickets zu ergattern. Denn: „el barrio es el barrio, che“ (Dein Viertel ist nunmal dein Viertel).

 

Dieser Satz ist exemplarisch für die Fanszene. Wohl kaum ein anderer Erstligaverein aus der Capital Federal rekrutiert seine Fans fast ausschließlich aus dem Stammviertel wie die Argentinos Juniors. Zu den Heimspielen kommen meist kaum mehr als 10.000 Zuschauer. Es ist ein „club de barrio“ wie man es eigentlich vor allem in den unteren Ligen findet. Ein Club, der das kulturelle Zentrum des Viertels bildet, dem die Menschen über den sportlichen Erfolg hinaus verbunden sind. Und sie sind stolz auf ihren Verein, der eine Vielzahl von großen Spielerpersönlichkeiten hervorgebracht hat. Redondo, Cambiasso, Sorín, Placente, Riquelme und, nicht zu vergessen Diego Armando Maradona. Zu seiner Zeit in La Paternal noch besser bekannt als Cebollita, das Zwiebelchen. Ihm haben sie ein Denkmal gesetzt und das Stadion nach ihm benannt. Jenes Stadion, dass nur unter großem Mühen und mit Hilfe der Bewohner aus dem Viertel neugebaut werden konnte und über zehn Jahre brauchte, bis es fertiggestellt wurde. Das mit seinen engen Tribünen und dem kleinsten Feld der Liga oft von gengerischen Fans verspottet und von den Gästespielern gehasst wird, da sie hier den Atem der Zuschauer förmlich im Nacken spüren.

 

Und dann, als der Nachmittag zu Ende geht, bekommt man doch noch einen Vorgeschmack für den nächsten Tag. Plötzlich sieht man Menschen, die ihre Häuser mit Fahnen schmücken, Familien, die von Ausflügen heimkehren, allesamt gekleidet in den Trikots ihrer Argentinos Juniors.


Am nächsten Morgen strömen auch diejenigen Fans, die nicht im Viertel wohnen Richtung La Paternal. So wie Gastón, dem auf dem Weg zum Stadion der Juniors, wo sich die Fans des Bichos gegen Mittag versammeln, kaum einige Worte zu entlocken waren. Den Blick ins Leere, nervös, ununterbrochen auf den Fingernägel kauend, saß er fast verloren in der letzten Reihe der Linie 105. Welche Verwandlung hat das barrio in den letzten Stunden erlebt! Böller krachen, Gesänge sind bereits einige Blocks vom Stadion entfernt zu hören. Die Fans sind in Feierlaune und doch in den Gesängen verhalten, ja fast bescheiden. Nichts ist zu hören von Übermut, kein „Wir sind bereits Meister.“  Gegen 13:00Uhr macht sich die Karawane auf dem Weg zum Stadion von Huracan, dem Tomas Duco.

Dort dann die große Überraschung. 11.500 bichos? Nein, 17.000 sind im Gästeblock! Kaum wagen sie es, das Wort „Campeón!“ in ihre Gesänge mit einzuschließen. Erst mit dem 2:0 durch Coria in der 77. Spielminute beginnen sie an den Titel zu glauben. Selbst als die Spieler gegen 19:00Uhr die Trophäe in den Nachthimmel von Buenos Aires recken, scheinen die meisten Anhänger noch immer nicht recht zu begreifen, was geschehen ist. Fast zögerlich ertönt das Dale Campeón! Vielleicht liegt es auch daran, dass auf der anderen Seite des Stadions zur gleichen Zeit Feuer brennen, Rauchwolken aufsteigen und die Polizei sich eine Schlacht mit den Huracan-Fans liefert. Ein bizarres Szenario für eine Meisterzeremonie. Diese beginnt erst so recht, als die Mannschaft im eigenem Stadion, daheim in La Paternal, mit dem Pokal ihre Runden dreht und auf den Straßen des barrios die Menschen sich Tränen überströmt in den Armen liegen. Erst da beginnen auch die Letzten zu glauben, dass es wahr geworden ist: Argentinos Juniors Campeón!